Esbjörn Svensson Trio | 11.11.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Vorsicht mit den Superlativen! Da steht „der erfolgreichste Plattenproduzent Deutschlands“(?) nach der Pause ohne Vorwarnung auf der Bühne des Neuburger „Birdlands“, lobt „den schönsten Jazzclub Deutschlands“ über den grünen Klee und kündigt „EST, das augenblicklich beste Jazztrio der Welt“ an. Eine Menge pauschales Pathos, was einem da entgegenschlägt.

Aber Siggi Loch, der Stars wie Marius Müller-Westernhagen oder Klaus Doldinger entdeckte und quasi über Nacht seinen Traumjob als Europapräsident des Medienriesen Warner an den Nagel hängte, um endlich seiner Leidenschaft für Jazz nachkommen zu können, dieser Mann mit dem geprüft goldenen Näschen weiß nur zu genau, wann der Einsatz von Superlativen nicht zum Bumerang für die Betroffenen selbst werden kann. An einem Abend wie diesem zum Beispiel.

Bei dem gepriesenen musikalischen Dreieck handelt es sich schlicht um ein Pianotrio, wie es derzeit überall auf dem Globus in tausendfacher Potenz um die Gunst des Publikums buhlt. Die Künstler stammen auch nicht aus Downtown New York, sondern aus dem schwedischen Kaff Västeras und besitzen allesamt keinen klingenden Namen. Noch. Denn was Loch da im Hofapothekenkeller verklärt als „Wunder“ bezeichnete, sorgt derzeit für das wohl heftigste Rumoren im alten Jazzgebälk seit vielen Jahren und hinterlässt bei der augenblicklichen Europatournee allerorten ein restlos begeistertes Publikum.

Wo liegt das Geheimnis von EST, dem gängigen Kürzel für das Esbjörn Svensson-Trio? Es bedient sich der akustischen Mittel seiner großen Vorbilder Keith Jarrett oder Bill Evans, benutzt Dauer-Standards von Thelonious Monk, und macht doch alles anders. Gerade die Art, wie die drei Monk interpretieren, ihm eine Frischzellenkur verpassen und ihm trotzdem niemals seine Identität rauben würden, zeugt von visionärer Kraft und ungeheuerer Abenteuerlust. „I Mean You“ gleitet zunächst ungewohnt sanft dahin, um sich im Laufe des Stückes in ein pumpendes, schwitzendes Monster zu verwandeln, während die Ballade „Round Midnight“ einen der schönsten nachtblauen Anstriche ihrer Existenz erhält.

Schwedens Hoffnungsträger am Jazzpiano reflektiert mit seinen Sandkastenfreunden Dan Berglund (Bass) und Magnus Öström (Drums) vorbehaltlos das bunte Treiben der Musik, die Vielfalt der Stile. Die drei verbinden rhythmisches Feingefühl mit erstaunlicher melodischer Prägnanz und verleihen so jeder ihrer Eigenkompositionen einen eigenen, pfiffigen Charme.

„From Gagarin`s Point Of View“ beispielsweise, die Hommage auf den ersten Menschen im All: Berglund lässt einen Bogen über den Steg kratzen, Svensson schrappt in den Flügel-Eingeweiden, Öströms Becken tickt und der Pianist lässt eine verträumte Melodie einschweben. Audiophile Zeitlupe, Mondschatten, Blick auf den Pazifik. Oder „Dodge The Dodo“: ein Stück, das sich in jeden Gehörgang fräst, dessen Riff man unweigerlich tagelang vor sich hinpfeift. Ein Jazzstück mit Rock-Groove und brutal vorwärtstreibendem Beat, wie geschaffen für „Heavy Rotation“ bei VIVA oder MTV.

Songperlen von solcher Qualität gibt es viele: „Don`t cuddle that crazy Cat“, bei dem Berglund mit angeschlossenem Wah-Wah-Pedal wie Jimi Hendrix als himmlische Heimsuchung klingt, oder „Definition of a Dog“, das den wider alle Konventionen trommelnden Klangforscher Öström in kontrollierter Ekstase davonschweben lässt. Dann wäre da noch der Namensgeber, dessen Melodiekürzel einen auralen Reiz verströmen, dem sich keiner entziehen kann. Esbjörn Svensson kombiniert mit intelligenter Naivität alle Tugenden des zeitgenössischen Jazz und ist dabei doch so eingängig, dass es fast schmerzt.

Und er erfüllt einen alten Traum mit neuem Leben: den von der grenzenlosen, schablonenfreien Musik. Das beste Jazztrio der Welt? Der Gegenbeweis dürfte nach einem Konzert wie diesem schwer fallen.