Manchmal, da schnauft das Bandoneon einfach nur. Schwer wie ein alter Mann mit einem Bündel auf einem steilen Bergweg, mühevoll, gebeugt von der Last des zu Ende gehenden Lebens. Wie im Zeitraffer ziehen die Erinnerungen vorüber, um dann urplötzlich zum Standbild zu gefrieren.
Manchmal, da scheint es auch, als würden sich die Noten in gesprochene Worte verwandeln, den Klang einer Stimme annehmend, monologisierend, proklamierend, fragend. Dann diese Wechsel in völlig unerwartete Bereiche: Aus Trauer wird Freude, aus Bitterkeit Glück und aus einem einfachen Konzert im ausverkauften Neuburger „Birdland“-Jazzclub ein Moment für die Ewigkeit. Denn Musik wie die von Dino Saluzzi speichert jede Festplatte des Unterbewusstseins, auch wenn sie nicht zum Mitsummen taugt.
Wenn der 69-Jährige Bandoneon spielt, jenes Instrument, das Banausen gerne als südamerikanische Quetschkommode verunglimpfen, das aber ein Astor Piazolla durch den Tango Nuevo in den Olymp der E-Musik empor katapultierte, wenn also dieser bullig wirkende, sensible Kerl aus der Kleinstadt Campo Santo im Norden Argentiniens Töne produziert, dann scheint es, als würden sie von dessen Körper direkt in den verzierten Blasebalg wandern. Dino hüpft im matten Licht des Scheinwerfers auf seinem Sessel, windet sich, pendelt wie eine Standuhr, sackt zusammen, vibriert. Es sind Emotionen, die sich unmittelbar in Harmonien verwandeln, in ungeheuer atmosphärische Stücke, bei denen ein leiser Lufthauch des Bandoneons mitunter mehr auslöst, als an anderen Abenden ein elegisches Solo.
Sein neues Trio scheint Saluzzi, der Ältere, endlich seiner musikalischen Identität nähergebracht zu haben: mit südamerikanischer Musik, die vom Tango der Metropolen bis zur Einsamkeit der Hochebenen reicht. Mit einer Prise Jazz, die der großartige Palle Danielsson mit dem Kontrabass als verbindendes Element in die weiträumigen Melodien fügt. Mit der Gitarre, auf der sein Sohn José Maria Saluzzi die Attacke der Saiten gegen das Schwingen des Bandoneons setzt.
Allein, zu zweit, zu dritt entstehen Stücke, in denen Melancholie und Lebensfreude, Einsamkeit und Begegnungen, Folklore und Abstraktion, Langsamkeit und hohes Tempo ineinander übergreifen. Aus derart weit auseinander liegenden Polen formulieren die drei Geschichten voll Spannung und Tiefe: „Milongata“, „Monica“, „Responso por la muerte de Cruz“ – pure lateinamerikanische Poesie.
Manchmal, da wirken die zwei Stunden (trotz einer unverständlichen Unruhe) und vor allem die drei frenetisch erklatschten Zugaben so reich an Gedanken und emotionaler Dichte, dass man fast den Eindruck gewinnen könnte, man befände sich in einem hypnotischen Traum. In dem der alten Mann mit dem Bündel auf dem Rücken sogar den Anschein erweckt, als würde er lächeln.