Dime Notes | 30.11.2019

Donaukurier | Karl Leitner
 

Wann genau der Jazz sein Köpfchen aus der mit afrikanischen und europäischen Ingredienzien gewürzten Ursuppe aus Blues, Boogie und Rag herausstreckte, um sich selbstständig zu machen, ist nicht genau nachprüfbar. Die allererste offizielle Veröffentlichung unter dem Label „Jazz“ freilich datiert zurück auf das Jahr 1915. Das zumindest ist geschichtlich belegt. Der „Original Jelly Roll Blues“, aufgenommen von dem Pianisten Jelly Roll Morton, erblickte – selbstverständlich auf Schelllack – das Licht der Welt und der Siegeszug eines neuen Genres konnte beginnen.

Für die Dime Notes aus London, die sich vor allem auf den Sound der Zwanziger Jahre konzentrieren, steht Morton als Säulenheiliger seiner Zeit im Mittelpunkt. Seine Stücke und die seiner Zeitgenossen King Oliver, Jimmy Blythe, W.C.Handy und Red Nichols gilt es dem allmählichen Vergessen zu entreißen, behutsam mit neuen Arrangements zu versehen und dem Publikum im wieder einmal ausverkauften Birdland darzubieten. Und was aus den damaligen Musikmetropolen des Südens, aus New Orleans, Kansas City und St. Louis in die all die Juke Joints, Barrelhouses und Honky Tonks des Südens und die Dance Halls des Nordens schwappte, verfehlt auch heute seine Wirkung nicht.

Stücke wie „Alabama Bound“, „The Stratford Hunch“ oder „The Turtle Twist” waren schließlich so etwas wie der Pop jener Zeit, also allgegenwärtig, zum Tanzen gedacht oder zur allgemeinen Untermalung sonstiger samstäglicher Vergnügungen. Und auch heute noch juckt es in den Beinen, wenn man diese Stücke hört – auch wenn sie mittlerweile unter der Bezeichnung „Vintage Jazz“ laufen.

Die Dime Notes machen ihre Sache aber auch ausnehmend gut. Andrew Oliver ist ein ausgezeichneter Boogie-, Stride- und Barrelhouse-Pianist, David Horniblow verfügt über das unverzichtbare Timbre auf der Klarinette, Dave Kelbie spielt – anderweitige perkussive Unterstützung ist ja nicht vorgesehen – stoisch seine Rhythmusgitarre und Louis Tho-mas hält mit dem Kontrabass den ganzen Laden zusammen.

Was man im Birdland gut zwei Stunden lang zu hören bekommt, mag für heutige Ohren vielleicht altmodisch klingen, doch die Band, die das Auditorium an diesem Abend einlädt zur Exkursion zur Wiege des Jazz, versprüht enormen Charme und die Musik macht dermaßen gute Laune, dass es am Ende unter nicht unter zwei Zugaben abgeht. Es ist fast ein klein wenig so, als stöberte man in alten Truhen und Kommoden, förderte fast vergessene Kleidungsstücke zutage und käme zu der Erkenntnis: Was gab es doch früher für hochwertige, originelle und wunderschöne Sachen! Man reinigt sie behutsam, hängt sie raus auf die Leine, damit sie nachher gut duften, und erfreut sich jedes Mal, wenn man ihrer ansichtig wird. Genau das machen die Dime Notes mit den altehrwürdigen Stücken. Und nachdem der Staub der Jahre weggeblasen ist, bekommen sie einen Ehrenplatz. Ganz genau!