Sage noch einer, Flamenco würde nicht swingen! Vielleicht ein wenig anders als Ellington oder Basie, aber doch immer markant durch die staubige Oberfläche der andalusischen Landstraßen blitzend und irgendwie ziemlich nachhaltig. So jedenfalls präsentiert der spanische Pianist Daniel García im proppenvollen und restlos aus dem Häuschen geratenen Birdland-Jazzclub in Neuburg seine individuelle Lesart von Jazz – ein faszinierendes Konglomerat aus Folklore, klassischer Form, der Freiheit der Improvisation und der unbändigen Vitalität des Jazz. Denn wer sich frei macht von Konventionen, sich einfach treiben lässt, der wird in der Regel reich dafür belohnt.
Es bedarf aber schon Fingerspitzengefühl, um das normalerweise Unvereinbare miteinander zu verbinden. Der 39-jährige Tastenakrobat aus dem andalusischen Salamanca und seine beiden kubanischen Compadres Reinier Elizarde „el Negrón“ und Michael Olivera pappen die einzelnen Versatzstücke ihrer musikalischen Visionen nicht einfach schnöde aneinander. Sie achten vielmehr auf fließende Übergänge, weiche Überlappungen, vermeiden logische Brüche und entwickeln auf diese Weise eine bislang unbekannte Instrumentalsprache. Denn Flamenco und Jazz besitzen ähnliche Wesensmerkmale: Selbstausdruck, völlige Hingabe im Moment des Musizierens sowie das tiefe Erleben im Augenblick. Man kann es tatsächlich so sehen, vor allem, wenn der von Danilo Pérez am Berklee College unterrichtete García tief in die Musik seiner Heimat eintaucht und sie mit dem Vokabular des modernen Jazz anreichert. Versucht haben das vor ihm schon einige. Doch kaum jemandem gelang bislang eine derart feurige Mixtur aus rhythmischer Intensität und melodischer Farbenpracht, wie diesem Pianisten. Er, Elizarde und Olivera tauschen ständig Informationen aus und reagieren darauf. Es mutet wie das Formen einer Skulptur in Echtzeit an – spontan, lustvoll, wagemutig.
Wer die Augen schließt, der wähnt sich irgendwann auf der Vía de la Plata, dieser 1000 Kilometer langer Straße, die von Sevilla aus nach Norden bis in die Stadt Asturga führt. Seit vorrömischer Zeit nutzten sie Menschen verschiedenster Herkunft. Sie brachten ihre vielfältige Kultur mit, die in ihren Verschmelzungen auch die Musiktraditionen Spaniens – und hörbar Daniel García – prägte. Da erklingt „Cancíon del fuego fatuo“, das „Lied des Irrlichts“ von Manuel de Falla aus seinem 1916 uraufgeführten Ballett „El amor brujo“, das auf andalusischen Volksweisen, dem sogenannten Cante jondo, basiert. Oder die Eigenkomposition „Calle Compañía“, mit der García und Co. auf den Flamencorhythmus und seine typischen Wendungen abheben und spielerisch mit ihnen jonglieren. Mit herrlich tänzerischer Anmutung bettet das wunderbare Trio die durchweg sanglichen Melodien der Stücke in fein verwobene Arrangements, die facettenreich glitzernd und schimmernd den Fluss der Musik befördern.
Nach der Pause überraschen die drei mit einem spritzigen, völlig aus dem Rahmen fallenden „Rhythm-A-Ning“ von Thelonious Monk – „weil wir es einfach lieben, in einem Jazzclub zu spielen, und noch dazu in einem wie diesem“, wie García hinterherschickt. Alles spontan und ungeprobt, aber hochvirtuos, mit großen Features für den Bassisten Reinier Elizarde „el Negrón“, der mit seinen langen, flinken Fingern und seinen Highspeed-Läufen auf dem hölzernen Steg wie ein Sohn von Ron Carter aussieht. Für Michael Olivera gibt es kein Äquivalent. Selten saß ein Mensch im Hofapothekenkeller hinter dem Drumset, der seinen inneren Puls, sein genuines kubanisches Groove-Feeling, schlicht seinen gesamten Körper-Rhythmus derart intensiv auf Felle und Becken zu übertragen konnte.
So vereinen sich der perlende, erzählende Flügel, der großtönende, weise Kontrabass und das schlaue, verbindende Schlagzeug zu einem grandiosen Reisetagebuch mit historischen Bezügen. In der Zugabe haben die drei das Publikum vollends in der Hand. Der ganze Keller singt inbrünstig eine simple, balladesk auf das Piano geworfene Melodie mit, und das gesamte Birdland frisst dem glücklich dirigierenden Daniel García aus der Hand. Ein Traum!