Dan Barrett – Bernd Lhotzky Quartet | 18.11.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Louis Armstrong – oft genug in die billige Showecke gesteckt. Fats Waller – viel zu häufig als musizierender Comedian abgekanzelt. Oder Nat King Cole, Sydney Bechet, Jelly Roll Morton… Sie alle landen heute kurzerhand in einem Topf, unterschätzt, entwertet und verächtlich beiseite gelegt.

Ein retrospektiver Blick ins Leere, der für das Verständnis der gesamten Musik fatale Folgen haben kann. Denn der so geschmähte Swing ist nichts weniger, als der Quell, aus dem alles entsprang, was auch nur im Entferntesten mit Jazz und anderen modern-populären Stilen zu tun hat. Gottlob tauchen dann und wann noch gewissenhafte Spurensucher wie der Pianist Bernd Lhotzky und der US-Posaunist/Kornettist Dan Barrett aus dem zeitgeistigen Vakuum auf, die die vermeintliche Leichtigkeit des Harlem Rhythm der 30er Jahre auf keinen Fall irgend einem oberflächlichen Gedudel preisgeben würden.

Das Abschlusskonzert einer Deutschland-Tournee der beiden Brüder im Geiste im Neuburger „Birdland“-Jazzclub jedenfalls trat den schlagenden Gegenbeweis an, dass traditioneller nicht unbedingt gleichzeitig auch antiquierter Jazz sein muss. Ihr bassloses Quartett mit dem direkt phrasierenden Alt- und Sopransaxofonisten John „Butch“ Smith und Drummer Oliver Mewes ist der behutsame Versuch, die während der Zeit der Prohibition aus ökonomischen Gründen oft bunt zusammen gewürfelten Combos zu kopieren.

Der Sound kommt vor allem wegen des völlig „anderen“ Schlagzeugs viel direkter, als im modernen Jazz. Der faszinierende Mewes marschiert ganz im Geiste eines „Big“ Sid Catlett über die große Basstrommel, produziert lokomotivartige Besenviertel, stöckelt über den Rand der Snare und lässt munter Kuhglocken klingen. Über den scheppernden 7/8-Beat setzt Lhotzky taufrische Stride-Perlen, sprintet mit rasanten Boogie-Läufen weg, um sich wenig später mit schlurfenden Blues-Akkorden wieder zurückfallen zu lassen.

In diesem Rahmen formen Barrett und Smith im Hofapothekenkeller unter frenetischem Beifall viele unprätentiöse Kleinodien. Wallers nonchalanter „Yacht Club“ etwa, James B. Johnsons im Tempo der clownesken Stummfilme arrangiertes „Harlem Strut“, das getupfte, federleichte „Louisiana Fairy Tale“ mit seiner herrlich-sonnigen Stimmung, oder das herzzerreißende „Take me in your Arms“. Gerade in letzterem Titel erklärt Dan Barrett mit seinem intuitiven Gespür für das Hörbare an der Posaune, was das einst in New Orleans gängige Funeral-Motto „The sader the better“ in der Sprache der Musik bedeutet.

Am Werk sind hier keine starrköpfigen Museumswärter, sondern vier neugierige Restauratoren. Dank ihrer Arbeit bleibt es unter anderem im Bewusstsein haften, dass Groove irgend etwas mit Swing zu tun hat. Oder ist es vielleicht sogar das Selbe?