Cobham – Carter – Barron | 24.02.2002

JazzThing | Reinhard Köchl
 

Reinhard Köchl interviewt
am 24. Februar 2002 für Jazzthing Kenny Barron, Ron Carter und Billy Cobham einen Tag nach dem Konzert im Neuburger „Birdland“ .

 

Die Kunst, eins zu sein

Es geht um Solidarität. Eine Allianz gegen Fehlentwicklungen, Gleichmacherei und das schleichende Vergessen. Es geht um den Jazz. Drei Musiker mit großen Namen formieren sich zu einem machtvollen Triumvirat: Billy Cobham, Ron Carter und Kenny Barron. Mit Jazz thing-Autor Reinhard Köchl diskutierten sie über die sonderbaren Auswüchse im Musik-Business, Konsequenzen, Chancen, Forderungen und das große gemeinsame Ziel. Eine muntere Gesprächsrunde mit vielen nachdenkenswerten Inhalten. Trotz des ganz und gar unmöglichen Zeitpunkts.

Draußen am Donauufer liegt frischer deutscher Schnee, drinnen im Hotel duftet frisches europäisches Frühstück und über all dem schwebt ein altes amerikanisches Problem: Wie bekommt man Jazzmusiker zur Vormittagszeit in die Gänge? So spät ist es gestern eigentlich gar nicht geworden, als die drei ihr einziges Konzert auf deutschem Boden im Neuburger „Birdland“ bestritten. Aber dafür um so intensiver. Ein Fernsehteam umschwirrte das prominente Trio wie die Motten das Licht, schreibende Kollegen begehrten pausenlos nach Antworten auf die berühmte „Warum nur“-Frage und Fans aus allen Teilen der Republik brachten ihre alten LPs mit ins Bayerische, um sie von ihren Heroen signieren zu lassen. „Ich hatte das erwartet”, sagt Billy Cobham, der Initiator des Projektes, das ebenso wie die CD den sybillinischen Namen „The Art Of Three” (In&Out/Inakustik) trägt. Aber bei aller Abgezocktheit bleibt noch Raum für Beobachtungen. „Da war so ein Typ an einem der ersten Tische, der sah aus wie Lester Young: dieser Hut, das Bärtchen, der Anzug. Aber Lester hatte keine Designer-Sonnenbrille.“ Während Cobham sich noch ein wenig über die kleine Bühne mokiert, auf der sein gewaltiges Drumset kaum Platz fand, und ganz allmählich in den von ihm bekannten Redeschwall mündet, geht die Tür des Konferenzraums auf und der Rest von CCB schlurft herein. Müde, aber keineswegs mürrisch komplettieren Ron Carter und Kenny Barron fortan den so genannten runden Tisch, der seltsamerweise auch hier wieder vier Ecken hat.

Jazz thing: Eure Bündnis trägt den Namen „The Art Of Three“. Drei der wichtigsten Figuren der Jazzgeschichte formieren sich zu einem klassischen Pianotrio. Ist das die eigentliche Kunst?

Kenny Barron: Den Schritt zu wagen und vor allem die Zeit dazu zu finden, das ist schon eine Kunst. Wir kennen uns alle ziemlich lange. Mit Billy habe ich schon Ende der 60er, Anfang der 70er gespielt, Ron holte mich dann 1977 in seine Band. Ich glaube, auch Billy hat früher mit Ron…

Billy Cobham: …sag mir einen Musiker, der noch nicht mir Ron Carter gespielt hat.

Kenny Barron: Aber wir alle drei zusammen – das gab`s noch nicht. Eigentlich war es Billys Idee, etwas zusammenzufassen, was irgendwie frei umherflog. Eine Art Bündelung unserer Kreativität, unserer ganzen Erfahrungen. Das schien uns wichtig und macht vor allem großen Spaß.

Ron Carter: Billy hat meine ersten beiden Leaderalben auf einem Label namens „Embryo“ produziert, das damals Herbie Mann gehörte.

Jazz thing: Das muss wohl exakt auf der Schnittstelle gewesen sein, als du gerade dabei warst, das Miles Davis Quintet zu verlassen und Billy Cobham zu den „Bitches Brew“-Sessions stieß.

Ron Carter: Miles Davis hat damit überhaupt nichts zu tun…

Billy Cobham: …aber es war aufregend. Miles lud mich und eine Unmenge anderer Musiker ins Studio ein. Wir spielten jeden Tag in wechselnden Besetzungen. Ich erinnere mich an Sessions, bei denen Ron Bass spielte, Dave Holland, Jack DeJohnette oder Lenny White da waren und sich fünf Pianisten gleichzeitig im Raum befanden. Alles war möglich. Die ganze Sache besaß damals die Qualität eines Zirkus. Miles zeigte einfach auf die Leute, die er sich für ein bestimmtes Stück vorstellte. So entstanden „Bitches Brew“, „Around The Corner“. Ich erinnere mich gerne daran.

Ron Carter: Also, das gefällt mir überhaupt nicht. Ich glaube, dass es im Augenblick ziemlich unpassend ist, sich ausgerechnet über Miles` Wünsche und Eigenwilligkeiten zu unterhalten oder was er sich dabei dachte, als er eine ganz bestimmte Platte aufnahm. Ich empfinde Unbehagen dabei, wenn du mich fragst, welchen Anteil wir an seiner Legendenbildung haben. Ich möchte nicht mehr über Miles Davis sprechen, sondern lieber über Billy Cobham, Kenny Barron und mich, okay?

Jazz thing: Ja okay, ich habe nur nach gemeinsamen Verbindungen zwischen euch gesucht…

Ron Carter: …wenn ihr nichts dagegen habt, Jungs!

Billy Cobham: (lacht schallend auf) Themawechsel! Du hast ja recht. Unser Trio ist schon etwas ganz Besonderes. Wir gehen auf die Bühne und lassen all das ineinander fließen, was wir über Musik wissen. Jeder fühlt wie der andere, ohne dass wir uns absprechen müssen, wir denken parallel, ergänzen und erhöhen uns gleichzeitig. Es geht nicht mehr darum, etwas unnötig zu verkomplizieren. Vielleicht mag es ja oberflächlich betrachtet wenig aufregend klingen; eben nur wie ein Pianotrio. Doch wir machen es so einfach und direkt wie möglich. Alles dabei ist unsichtbare Kunst: The art of recording, the art of interacting. Drei Leute, die sich auf hohem Niveau gleichberechtigt begegnen – ich weiß nicht, ob so etwas alltäglich ist. Glaub mir: In meiner Karriere bin ich schon bei vielen Dingen dabei gewesen. Aber dieses Projekt spiegelt nicht mehr und nicht weniger als mein ganzes Leben wider!

Ron Carter: Es handelt sich um unmittelbar erlebte, nicht um schablonenhaft gestaltete Musik. Das bewusste Zelebrieren von Songs. Dafür hatte ich schon immer eine Schwäche. Wenn wir drei spielen, fallen mir manchmal meine ersten Auftritte in New York mit den großen Folk- und Bluessängern Josh White junior und Leon Bibb im „Village Gate“ ein. Gott, waren das Storyteller! Was bei ihnen zählte, war nur die Essenz und nicht das Drumherum.

Kenny Barron: Man trifft immer wieder Leute, von denen man jede Menge lernen kann. In erster Linie geht es nämlich ums Zuhören. Und möglicherweise auch darum, zu akzeptieren, dass jemand besser ist, als du.

Jazz thing: Könnte es sein, dass genau da die Lösung für viele Probleme unserer Zeit zu finden ist? Das Musikbusiness hat sich zu einer Art Verdrängungswettbewerb entwickelt, in dem nur noch Lautes, Buntes, Abgedrehtes wahrgenommen wird. Stattdessen kehrt ihr zu einer relativ leisen, unspektakulären Form zurück.

Billy Cobham: Es sind unsere Roots. Mir kommt es so vor, als ob ich von Zuhause weggegangen bin, viele Leute getroffen habe und wieder zurückkehre. Aber in Wirklichkeit war ich nie fort.

Ron Carter: Keiner von uns hat je seine Wurzeln gekappt. Ich wollte Musik immer ernst nehmen, sie nie unter ein bestimmtes Level absinken zu lassen, ganz egal was es war. Ich habe mit den unterschiedlichsten Leuten gearbeitet, James Brown, Aretha Franklin, Billy Joel, Billy Idol…

Jazz thing: Billy Idol?

Ron Carter: Ja, warum nicht? Irgendwann in den 80ern, ein paar Titel. Simon & Garfunkel waren auch dabei. Und alles lag gar nicht mal so weit von dem entfernt, was ich jetzt mit diesem Trio mache. Es ging immer nur um die selben zwölf Noten. Mein Job ist es, ihnen überall einen Sinn zu geben.

Kenny Barron: Das gilt selbst bei klassischen Projekten, beispielsweise mit der Opernsängerin Kathlyn Battle, an denen ich mitgewirkt habe. Im Prinzip ist es immer das Gleiche. Nur die Umgebung wechselt.

Jazz thing: Genau um diese Umgebung geht es. Wir sprechen über Klassik, Pop, Rock. Gibt es noch Platz für improvisierte Musik, für echten, aufrichtigen Jazz, gerade in Amerika?

Kenny Barron: Die Situation hat sich etwas gebessert, vor allem wenn ich mir die Clubszene in New York betrachte. Da ist wieder ein bisschen mehr los, als noch vor einigen Jahren. Natürlich nicht in dem Maße, wie beispielsweise in den 60ern, als wir noch quer durch die Staaten touren konnten und steady jobs über drei, vier Wochen bekamen.

Ron Carter: Die Gesellschaft hat sich verändert, nicht der Jazz oder wir. Die Leute wollen nach 22 Uhr kaum mehr aus dem Haus gehen, ganz egal, wer um 22.30 Uhr gerade im Vanguard auftritt. Sie haben ihre HiFi-Anlagen, VCR, DVD, laden sich ihre Musik aus dem Internet herunter. Dafür geben sie heute in erster Linie ihr Geld aus, nicht für Konzerte. Eine Folge der weltweiten Rezession, die früher oder später alle Sparten trifft, sich aber zuerst in der kleinen Jazz Community auswirkt. Dabei geht es weniger um uns – wir haben nach wie vor gut zu tun. Kenny, Billy oder ich bekommen immer Touren zusammen. Es geht um einen allgemeinen Trend, und für viele unbekanntere Musiker auch ums Überleben. Schon alleine deswegen scheint es mir wichtig, solch ein Trio auf die Beine zu stellen, um ein Zeichen zu setzen, Interviews zu geben, sich fotografieren zu lassen und zu zeigen: Es gibt noch Jazz, guten Jazz.

Jazz thing: Eine CD zu produzieren, kostet heute nicht mehr die Welt. Ich glaube, dass man bei der Fülle an Angeboten leicht den Überblick und auch das Interesse verlieren kann. Gibt es viel zu viele Tonträger oder andere Medien bei viel zu wenigen Käufern?

Billy Cobham: Nein, auf keinen Fall! Jeder hat das Recht, seine Musik unter die Leute zu bringen, wenn es sein muss, in Eigenregie. Wie viele gute Musiker sind schon bei Plattenfirmen abgeblitzt! Weißt du, was mir passiert ist, als ich mit der Idee für dieses Trio bei einigen Companies vorstellig wurde? Ich habe mir anhören müssen: „Nein, nein, das funktioniert nicht, mit dir, Ron Carter und Kenny Barron, weil du kein Jazzmusiker bist.“ Deshalb sind gerade wir zunehmend gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, entweder mit gemeinsamen Projekten oder CD-Produktionen, die wir aus eigener Tasche finanzieren. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Sony, Apple oder Microsoft bringen ständig etwas Neues heraus, schneller, als man die Software überhaupt kaufen kann. Pro Tools verfügt inzwischen über zig verschiedene Programme, die einem erlauben, überall mit einem Laptop aufzunehmen. Warum also nicht ein Konzert live mitschneiden, an Ort und Stelle mehrere CDs brennen, das ganze Cover-Artwork vorbereiten und am Ende des Gigs an die Leute verkaufen? Ich denke irgendwann wird es so kommen. Der Markt wird zunehmend härter. Wir haben fast keine andere Wahl.

Ron Carter: Und der Markt wird zunehmend seltsamer. Denk nur an Mariah Cary. Die hat 49 Millionen Dollar für ihre Vertragsauflösung vom EMI bekommen. Stell Dir vor: 49 Millionen, damit du keine Musik machst! (Billy und Kenny lachen laut auf, schütteln den Kopf)

Jazz thing: Das muss doch frustrierend sein!

Ron Carter: Es bringt wenig, sich damit zu beschäftigen. Was mich wirklich frustriert, ist die Tatsache, dass die Zeiten definitiv vorbei sind, in denen man noch drei Wochen am Stück im gleichen Laden spielen konnte, wie früher im „Half Note“ mit Sonny Rollins, Curtis Fuller, Jim Hall, Randy Weston oder Tommy Flanagan. Das vermisse ich wirklich. Ich brauche keine 49 Millionen Dollar, damit ich aufhöre, Musik zu machen. Lieber besitze ich um ein Vielfaches weniger, aber mein Geld kommt von Plattenverkäufen, weil die Leute meine Musik mögen.

Billy Cobham: Es ist eine Schande! 49 Millionen Dollar fürs Nichtstun. Dafür ziehen sie anderen Künstlern den Boden unter den Füßen weg und berauben sie ihrer Plattform, auf der sie sich hätten entwickeln können. Die Majors merken nicht, dass sie mit so einer Politik im Begriff sind, die Büchse der Pandora zu öffnen. Denn auch die Rahmenbedingungen unter denen wir arbeiten, haben sich verschlechtert. Deutschland war noch vor zehn Jahren für mich das wichtigste Land. Jetzt ist es ein ausgesprochen schwieriger Markt geworden, nicht zuletzt wegen der Ausländersteuer. Vielen Dank übrigens dafür an Helmut Kohl! Das mag für Michael Jackson oder für Madonna kein Problem darstellen, für uns Jazzmusiker ist es eines! 32 Prozent der Gage gehen an den Staat, unser Anteil fällt da gerade bei solchen Clubkonzerten mehr als bescheiden aus. Gut: Wir wollten dieses Projekt unbedingt in Deutschland vorstellen. Aber ein zweites Mal wird es unter solchen Voraussetzungen hier sicher nicht geben, bei allem Respekt vor diesem tollen Club. Dann schon lieber in einer großen Halle in England oder in Frankreich.

Jazz thing: Was würdet ihr euch für den Jazz im allgemeinen und für euch persönlich wünschen, gerade angesichts solcher Entwicklungen?

Billy Cobham: Weniger kalte Aufenthaltsräume – wir brauchen Wärme – , bessere Hotels – das hier ist okay –  und dass uns vielleicht eine Whiskey-, eine Zigarettenfirma oder die Deutsche Bank als Sponsor unterstützt. Einfach den Jazz auf die gleiche Stufe stellen, wie den Rest der Musik, wo diese Dinge ja auch längst üblich sind. Er braucht ein positiveres Image in der Öffentlichkeit.

Kenny Barron: Ich denke es ist wichtig, die Kontrolle über seine eigene Musik zu behalten, zu wissen, welche Platten von dir gerade im Umlauf sind, vor allem bei den Reissues. Ich weiß nicht, ob es viel Sinn machen würde, Jazz als MP3-Dateien über das Internet anzubieten. Ist das wirklich der Markt, den wir suchen? Und außerdem möchte ich nach wie vor besser werden. Kontinuierliche Qualität scheint mir immer noch das probateste Mittel, um sich hervorzuheben.

Ron Carter: Mich fasziniert es, wie sie gerade bei uns in Amerika die Sportler behandeln: Flug, Zug, Bus, Hotel, Essen – alles erster Klasse. Ein Michael Jordan unterhält die Menschen genauso, wie wir drei das tun. Aber er hat die Basketballszene nicht annähernd in dem Maße verändert, wie Wes Montgomery dies in der Gitarrenszene geschafft hat.

Text: Reinhard Köchl

 

Kurzbiografien:

Billy Cobham (*16. Mai 1944, Panama). Schlagzeuger, eine der Schlüsselfiguren des Jazzrock, populär als Mitglied bei den „Bitches Brew“-Sessions von Miles Davis, im Mahavishnu Orchestra oder mit eigenen Platten („Spektrum“, „Crosswinds“). Begann seine Karriere als Sideman bei Horace Silver, Billy Taylor und Hubert Laws.

Ron Carter (*4. Mai 1937, Ferndale/Michigan). Bassist, vielfacher Pollsieger, zu hören auf weit über 500 teilweise historisch bedeutsamen Einspielungen, u. a. im Miles Davis-Quintet, mit Freddie Hubbard, Herbie Hancock, Tony Williams, Chet Baker, Chick Corea, Sonny Rollins, Brandford und Wynton Marsalis, aber auch unter eigenem Namen.

Kenny Barron (*9. Juni 1943, Philadelphia). Pianist, ebenfalls vielfacher Pollsieger, gilt als der augenblicklich vielseitigste und ausgereifteste Vertreter seines Faches. Schuf Meilensteine in verschiedensten Besetzungen, entweder mit Stan Getz, Charlie Haden, Regina Carter, Freddie Hubbard, Dizzy Gillespie oder Joe Henderson.