Es gibt Personen, die haben für uns das „Gewisse Etwas“. Was das im Einzelfall genau ist, ist oft schwer zu beschreiben. Irgendwie geht vom Gegenüber eine Faszination aus und wir sind schwer beeindruckt. Gilt ähnliches auch für Musiker auf einer Bühne? Im Falle des Claus Raible Trios, das an diesem Abend im Birdland Jazzclub zu Gast ist, auf jeden Fall.
Man weiß nicht, wie andere Konzerte Raibles, der zu diesem Termin den Kontrabassisten Giorgos Antoniou und den Schlagzeuger Alvin Queen nach Neuburg mitgebracht hat, in der Regel ablaufen, aber dieses hat es wahrlich in sich. Wenn man es sich recht überlegt, macht Raible eigentlich nicht mal etwas Besonderes. Er führt ein klassisches Piano-Trio, spielt eine gesunde Mischung aus Eigenkompositionen und Standards wie „Embraceable You“ oder „I Remember April“ und zeigt sich als fest im Bebop verankerter Pianist des Modern Jazz. Dass er technisch brillant ist, wusste man bereits von früheren Besuchen im Birdland als Teil anderer Bands.
Das „Gewisse Etwas“ ist der kleine Tick, das Pünktchen auf dem I, der dieses Trio an diesem Abend von ähnlichen Formationen abhebt. Man hat den Eindruck, als bestünde eine ganz spezielle Chemie zwischen den Musikern, in die das Publikum vom ersten Akkord an mit einbezogen wird. Während der Bass die Basis liefert, hängt Alvin Queen mit Augen und Ohren an seinem Chef, folgt ihm höchst konzentriert wohin immer jener will. Und die Leute im Saal tun es ihm gleich, lassen sich mitreißen von beider Spielwitz und Leidenschaft. Am Ende führt das zu zwei Zugaben und dazu, dass sich die Musiker im Anschluss gegenseitig abklatschen, wie man das von Sportlern kennt, denen gerade Großes gelungen ist. Das spricht Bände.
Raible ist virtuos, strahlt aber auch eine überlegene Lässigkeit aus. Setzt man seine Körperhaltung und das, was er aus dem Bösendorfer Flügel holt, zueinander in Beziehung, bekommt der Terminus „laid back“ eine ganz neue Bedeutung. Bisweilen hat man hat den Eindruck, er schüttle all die Girlanden und Pirouetten mal eben so nebenbei aus dem Handgelenk, dann wieder kreist die rechte Hand wie ein Adler über den Tasten, um schließlich blitzschnell zuzustoßen und Figuren in den Raum zu zaubern, die an Kunstfertigkeit und Rasanz kaum zu überbieten sind.
Etliche seiner eigenen Stücke sind so neu, dass sie noch nicht mal einen Titel haben. Zum Beispiel dieser hinreißende Blues an Ende des ersten Sets. Er sei für Vorschläge hinsichtlich der Namensgebung offen, sagt Raible, das Auditorium könne sich ja in der Halbzeitpause mal was Passendes überlegen. – Wie wär’s mit „Newcastle Blues“? Damit erhielte dieser denkwürdige Abend im Birdland auch gleich die nachhaltige Würdigung, die er verdient. Aber vergessen wird man diese zwei Stunden mit dem „Gewissen Etwas“ so schnell ja eh nicht.