Charles Lloyd Quartet | 02.11.2014

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Ein Raum, so groß wie eine Schuhschachtel. Wenigstens für einen, der ganze Stadion und Konzerthallen füllen kann und mit den Grateful Dead, Jimi Hendrix, Jefferson Airplane, Janis Joplin oder Keith Jarrett auf der Bühne stand. Doch Charles Lloyd kommt gerne nach Neuburg, in diesen intimen Birdland-Jazzclub, der kaum 100 Leuten Platz bietet – nach 2003 und 2007 zum dritten Mal. Das ist, als würde Mick Jagger im heimischen Wohnzimmer auftreten. Gerade deshalb platzt der Keller unter Hofapotheke sogar an einem Sonntagabend aus allen Nähten.

Fans aus ganz Deutschland hängen zwei Stunden lang an den Lippen ihres Idols, saugen gierig jede Regung in seinem ledernen, wettergegerbten Gesicht auf. Lloyd gilt als die Sphinx des Jazz, als Eigenbrötler, gleichwohl als vielleicht bester lebender Saxofonist, gesegnet mit der seltenen Gabe, enormes technisches Potenzial mit einem Maß an Spiritualität anzureichern, das seit John Coltrane niemand mehr erreichte. Diesmal jedoch klingt er definitiv anders. Nicht altersmilde, nicht innerlicher oder endgültiger, sondern vielmehr aufmüpfig, launig und sprungbereit. Was an seinem neuen Quartett liegt, mit dem zum ersten Mal überhaupt in Deutschland auftritt. Ein Rudel junger, hungriger Wölfe; kreativ, fintenreich und – auch das fällt ins Gewicht – schwarz.

Die Drei jonglieren mit Metren und Harmonien, lassen in atemberaubenden Kaskaden Hip Hop und Bebop ineinander fließen. Drummer Eric Harland schiebt jeden Winkelzug mit unwiderstehlichen Shuffles, Grooves und Polyrhythmen an, während Bassist Joe Sanders alles mit einem multiphonen Puls füttert. Die Attraktion des Abends verkörpert jedoch Pianist Gerald Clayton, der seine flirrenden Läufe im Spannungsfeld zwischen Blues und moderner Avantgarde auf faszinierende Weise mit einer nahezu unerreichten feinen Anschlagskultur verchromt.

Über diesem vibrierenden Amalgam schwebt das Horn des erstaunlich fitten, großväterlichen Freundes wie eine Rauchwolke. Mit seinem unnachahmlich phosphoreszierendem Ton, einem zeitlosen Klangwunder, das niemals billige Effekte braucht, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In der Tat: Mit dieser Band erfindet sich Charles Lloyd gerade neu, und das mit 76 Lebensjahren. Und dazu gleich noch den Bebop. Unglaublich!