Das Entscheidende gleich vorweg: Es tut richtig gut, Cécile Verny auf der Bühne zu erleben. Da produziert sich kein bedrohlich wirkender Vamp, kein kindliches Weibchen mit aufgesetzter Unschuldsmiene, kein pseudoerotischer Mikrofonhalter im Paillettenmini. Die von der Elfenbeinküste stammende, aber seit langem in Freiburg lebende Sängerin schafft tatsächlich das heutzutage höchst seltene Kunststück, den Zuhörer einzig durch ihre künstlerischen Fertigkeiten gefangen zu nehmen.
Und dabei setzt die Frau im spielerischen Aushebeln eingeschliffener Business-Automatismen gleich noch einen drauf: Es muss nicht unbedingt eine Wahnsinnsröhre sein, die einem für zwei Stunden eine Dauer-Gänsehaut auf den Rücken treibt. Manchmal genügt schon das Gefühl, absolut ehrliche, handwerklich hochklassige Arbeit einer tief emotionalen Künstlerin vorgesetzt zu bekommen. Die mannigfaltigen Kommunikationsbrücken zum Publikum nicht zu vergessen. Die Verny singt gleich in mehreren Sprachen: Englisch, Französisch, Afrikanisch – und ihre Ansagen absolviert sie erfrischend kontrastierend in lupenreinem Badisch!
Das versteht nun wirklich jeder im bayerischen „Birdland“-Jazzclub in Neuburg. Liebenswürdig, ansteckend und vor allem bodenständig, ganz und gar befreit vom unerträglichen Divengehabe vieler Kolleginnen, erzählt sie Geschichten, nimmt den einmal mehr ausverkauften Hofapothekenkeller mit auf eine imaginäre Reise in freie Improvisation, Blues, Soul, Chanson, Scat. Wie eine Voodoo-Priesterin taumelt ihr Organ durch mystisch anschwellende afrikanische Stimmungen, düstere Paukenintermezzi, ostinate Figuren, um dann schlagartig wieder im lichtdurchfluteten Korridor französischer Balladen oder auf der gleißenden Sonnenwiese einer Latin-Nummer („Harvest“ aus der Feder des eng an der Stimme intonierenden Bassisten Bernd Heitzler) zu landen.
Ein Widerspruch? Keineswegs. So interpretieren Verny, Heitzler, der tief gründelnd-groovende Pianist Andreas Erchinger und der sprudelnd-spontane Drummer Torsten Krill eben im 21. Jahrhundert den Jazz. Eine europäische und nun mal keine typisch amerikanische Sichtweise. Ein fast homogener Schmelztiegel, der ab und an zwar überzulaufen droht, den aber vor allem Cécile Verny stets behutsam kontrolliert.
Welches Potenzial in ihrem warmen, ruhigen, mit mehreren gut getarnten, rauen avantgardistischen Spitzen versehenen Organ steckt, das beweist nicht zuletzt die Hommage „A Gainsbourg“, dem gleichnamigen, stets mürrischen Serge gewidmet, mit dem sie liebend gerne einmal zusammen gearbeitet hätte. Wie weiland Betty Carter dirigiert die Vokalistin das schleppende Auf und Ab des Songs wie eine Marionettenspielerin, Pianist, Bassist und das Publikum stets am seidenen Faden. Nur der Drummer macht manchmal was er will, vor allem in punkto Lautstärke.
Aber irgendwie scheint das auch wieder Teil eines intuitiven Konzeptes zu sein. Torsten Krill treibt und schiebt die Band mit Volldampf voran, erzeugt Welle um Welle, auf der eine strahlende und nicht minder voluminöse Cécile Verny einherreitet. Die Vier proklamieren keine Revolution, zeigen aber einen anderen Weg im Glitzer-Glammer-Genre des Vocaljazz. Und das tut echt richtig gut!