Carlito’s Latin Jam Band | 29.11.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

„Wir spielen jetzt einen Danzon, der heißt Almendia, mit verschiedenen Claves.“ Die zahlreichen Congaspieler im ausverkauften Neuburger „Birdland“-Jazzclub, die sich vom souverän lächelnden Bandleader dereinst in Workshops in die Geheimnisse des rhythmischen Fellestreichelns einweisen haben lassen, lächeln wissend zurück. Der Charly hat den Dreh mit den Claves einfach raus. Und nicht nur das kann er.

Was Charly Böck an diesem kalten Novemberabend mit seiner quicklebendigen Latin Jam Band in den Vorzeige-Jazzclub Südbayerns zaubert, ist im Prinzip nicht weniger, als eine nahezu authentische südamerikanische Atmosphäre, die entsprechenden Temperaturen selbstverständlich inbegriffen. Das Ingolstädter Szene-Urgestein – mithin der einzige aus der Riege der städtischen Jazzpreisträger, dem man ohne falsch verstandenen Lokalpatriotismus getrost internationale Klasse attestieren kann – hat von seinen Auslandsaufenthalten ein Stückchen jenes Samens mitgebracht, aus dem Salsa, Son, Merengue, Cumbia und Vallenato fruchtbare Keime treiben.

So ist aus Charly im Laufe der Jahre Señor Carlito geworden. Ein bayerischer Kubaner, der weiß, dass sich die Faszination der Zuckerrohrinsel nicht bloß in stupide dahingaloppierenden Tempi und beschwipstem Singsang zum Bacardischlürfen erschöpft. Manchmal, da wirkt Böck fast wie ein Stepptänzer auf Händen, der weich und samtpfötig mit seinen sensitiven Pranken über die Trommeln schlurft, um die 100 Jahre alte Musik der eleganten Caféhäuser Havannas wiederzubeleben. In diesem Momenten, zu denen Christoph Hörmann seine Querflöte einfach nur wie ein Mauersegler durch das Thema gleiten lässt, gehen im Auditorium viele kleine Sonnen auf.

Ein anderes Mal schmeckt das rattenscharfe Süppchen, das Carlito und seine Kumpane da zusammenbrauen, als stamme es aus den Töpfen der legendären Latinjazz-Köche (Orchesterleiter) Machito, Mario Bauza und Dizzy Gillespie. Auf Bläsersätze, die wie roter Pfeffer auf der Zunge kitzeln, oder trefflich mundende pianistische Nachos von Werner Leif Wiesmeth setzen der scheinbar vielhändige Böck und sein kongenialer Drumpartner Stefan Schmeußer knackig-kreiselnde Chilli-Schoten. Bassist Manolo Diaz sorgt mit sämigen Basslinien für eine angenehme bekömmliche Konsistenz.

Ein Eintopf ist das Ganze trotz der manchmal wild durcheinander fliegenden Ingredienzien zu keiner Sekunde. Die inspiriert-temperamentvolle Melange verträgt es sogar, wenn einem der sechs Küchenchefs mal ein klein wenig der Gewürzstreuer ausrutscht. Die Geräusche, die der ansonsten tadellose Posaunist Ralf Bauer an der Muschel absondert, entbehren nicht einer gewissen seltsamen Komik, verfälschen jedoch kaum das herrlich prickelnde Geschmacksgesamtbild des Klangmenüs.

Magenverstimmungen bleiben trotz der Überdosis Frohsinn und Lifestyle, die solche Musik fast immer zu verströmen pflegt, nicht zuletzt deshalb außen vor, weil Carlito einfach mit Claves umgehen kann. Und vor allem mit einem heißhungrigen und nach emotionaler Wärme förmlich dürstenden Publikum. Respekt!