Brazilian Blues | 19.05.2023

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Latin-Musik geht meist sehr schnell in Herz, Bauch und Beine, sie packt ihr Publikum unmittelbar und zieht sie in die Welt des Samba, der Bongos, der süffigen Schlag- und Blasinstrumente hinein.
Der Auftritt von Brazilian Blues im proppenvollen Birdland-Club verlief ein wenig anders. Es dauerte, bis sich der Charme der Formation voll entwickelte, die Zuhörer und Zuhörerinnen wollten sich erst Schritt für Schritt erobern lassen.

Das liegt vor allem daran, dass der Latin-Schwung immer wieder ein Stück konterkariert wurde durch herbere Elemente des Blues. Auch komplexe Eigenkompositionen des Gitarristen und Sängers Fabiano Pereira oder des Saxofonisten, Klarinettisten, Flötisten und Sängers Stefan Koschitzki spielten eine Rolle. Je länger man aber den sechs Jazzern von Brazilian Blues zuhörte, umso mehr entwickelte sich der wirkliche Charme dieser Formation.

Dazu trug schon die Vielfalt der Instrumente bei. Koschitzki glänzte auf dem Bariton-Sax, dem Altsaxofon, dem Tenor- und dem Sopran-Sax, mit der „normalen“ und der Bass-Klarinette und nebenbei noch als bluesiger Sänger. Aron Hantke sorgte an den Bongos und im Wettstreit mit dem Schlagzeuger Jan-Philipp Wiesmann für eine perkussive und glasklare Rhythmik. Bene Moser zeigte, was man aus einem E-Piano alles herausholen kann und Franco Petrocca setzte elegante Akzente an der sensibel ausgesteuerten Bass-Gitarre.

Viele Nummern ließen die unbändige, aber auch düster unterlegte Lebenslust dieses ebenso großartigen wie gefährdeten Subkontinents Lateinamerika aufscheinen. „Broken Memories“ zum Beispiel, die den Mord an einer Regime-Kritikerin durch ein Killerkommando auf offener Straße in Rio in Musik umsetzt – und die unzerstörbare Hoffnung auf eine schönere Welt.

Diese Musik ist anklagend, traurig und dunkel. Aber sie ist auch kraftvoll und trotzig, mit einem durchgängigen und unbesiegbaren Ostinato-Motiv und einem Gesang, der mit intensiv eher unzureichend charakterisiert wäre. Ähnliches gilt für die Komposition „Own and own“, die um die Themen Angststörung und Depression kreist. Im direkten Sinn des Wortes, die gebrochenen Melodien und die zaghaften Rhythmen scheinen in einem gefährlichen Zirkel gefangen, aber sie lassen doch mögliche Auswege anklingen.

Vor allem nach der Pause waren Publikum und Band so nahe beieinander, dass die beschwingte Latin-Stimmung die Oberhand gewinnen konnte. Nummern wie der „Corona-Blues“, der dieser gerade für aktive Musiker so ungute Zeit ein fetzig-ironisches Schnippchen schlägt, ein wunderschönes, aber nicht zu gefühliges Schlaflied für die kleine Nichte eines der Jazzer und ein witziges Stück über das klassische Thema „boy meets girl“ prägen diesen Teil des Konzerts.

Hier zeigt sich übrigens, dass aus gutem Grund so gut wie gar keine Jazz-Titel auf deutsch gesungen werden. Der Song „Gib mir den Sommer“ macht hier eine Ausnahme, aber der Text segelt manchmal in allzu flachen, schlagernahen Gewässern. Eine fremde Sprache wäre besser gewesen, dann hätte man nur die Musik, aber nicht den Text verstanden.