Bolero Berlin | 12.10.2017

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Die Viola, man wird es so sagen müssen, spielt nicht unbedingt die Rolle der Königin oder der Prinzessin in einem philharmonischen Orchester. Die Schönheit der Bratsche blüht eher im Verborgenen. Musiker erzählen sich deshalb gerne Bratscher-Witze, die alle – außer den Meistern der Viola – irgendwie lustig finden.

Wer den Auftritt des Ensembles Bolero Berlin beim 7. Birdland Radio Jazz Festival im Audiforum miterlebt hat, der wird über den nächsten Bratscher-Witz nicht mehr lachen wollen. Martin Stenger, Solo-Bratscher bei den Berliner Philharmonikern, entlockte seiner Viola Töne, die wahrhaft königlich wirken: Die Präzision klassischer Kammermusik verschmilzt mit feinem Jazz-Feeling, ein warmer, geheimnisvoller Klang entfaltet sich wie aus dem Nichts, geheimnisvoll changierend zwischen Piano und Pianissimo. Dieses leise, auf das Wesentliche zurückgenommene Musizieren berührt das Publikum schon nach wenigen Sekunden.

Diese besondere Stimmung trägt über zwei volle Stunden. Bei Jazz-Konzerten ist es üblich, nach solistischen Passagen zwischendurch zu applaudieren. Solchen Szeneapplaus gibt es auch bei Bolero Berlin, aber er fällt ungewohnt vorsichtig aus. Nicht, weil es keine meisterhaften Improvisationen zu feiern gäbe, ganz im Gegenteil. Aber das Publikum spürt, dass der Fluss dieses sanften Jazz-Wunders nicht durch zu langen und zu lauten Beifall unterbrochenen werden sollte.

Bolero Berlin, das ist die hone Kunst der leisen Töne. Die philharmonischen Solisten aus Berlin – neben Martin Stenger Manfred Preis (Klarinette und Saxofon), Esko Laine (Kontrabass) und Raphael Haeger (Piano) – haben sich mit dem Regensburger Helmut Nieberle (siebensaitige Gitarre) und dem Argentinier Daniel Gioia (percussion) zu einem Ensemble geformt, das seinesgleichen in der Jazz-Szene sucht. Ein vorzügliches Sextett, jeder für sich ein Virtuose, aber keiner ein Star, keiner, der sich auch nur für ein paar Takte in den Vordergrund drängen will. Meister ihres Instrument und Diener eines größeren Ganzen.

So entstehen hinreißende kubanische Boleros, argentinische Tangos, tolle Arrangements aus Opern von Puccini, Verdi und sogar ein sehr früher Blues, entlehnt aus Wagners Tannhäuser. Dieser Jazz ist hochintellektuell, zugleich jedoch von einer schwebenden Leichtigkeit, mit edlem Ton und mit einem seltenen Gespür für die Kraft des kaum noch hörbaren Piano. Ekstatische Eskapaden gibt es auch. Das Faszinierende aber ist, wie sie sich über ein spannendes Crescendo entwickeln, wie sich laut und leise, wie sich das Zuspielen von Themen und witzigen Einfällen zu einem Gesamtkunstwerk fügen.

Glanzlichter blitzten viele auf. Eine große Fantasie am Kontrabass zum Beispiel, gestrichen mit edlem Ton und gezupft mit lockerer Virtuosität. Oder die Soli der siebensaitigen Gitarre, mit kristallklaren Konturen und in Ruhe ausgespielten Melodien. Daniel Gioia zelebriert einen Schlagzeuger der besonderen Art, dezent und präsent. Er rollt für die elegischen Tango- und Boleromelodien von Bratsche oder Klarinette einen fein geknüpften musikalischen Teppich aus, mit dem famosen Bassisten gemeinsam. Auf einem solchen Fundament leben Bratsche, Saxofon, Gitarre und der zauberhaft lockere Pianist Raphael Häger alle Schönheiten ihrer Arrangements aus. Manchmal musste man genau hinhören, um zu realisieren, ob Schlagzeuger und Bass überhaupt noch dabei sind. Sie sind dabei, und wie! In der Beschränkung zeigt sich der Meister. Nicht im Auftrumpfen. Das ist das Geheimnis von Bolero Berlin.