Bernd Lhotzky Piano Solo „Rag Bag“ | 13.12.2024

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Kunst kommt tatsächlich von Können. Etwas besonders gut beherrschen, im Idealfall meisterhaft. Bernd Lhotzky ist so einer, bei dem die Kunst besonders viele Facetten bereithält. Die Profession des Münchners lautet zwar „Jazzpianist“, aber er ist einer, der alles ein bisschen anders macht als der Rest. Der 53-Jährige versucht die Ära großer Tastenvirtuosen wie Art Tatum, Earl Fatha Hines, Fats Waller oder Eroll Garner zu reanimieren und ihr dezent zeitgemäße Impulse einzuverleiben. Dabei entsteht mitnichten ein lauer Aufguss antiquierter Ü70-Konzepte, sondern etwas, das Menschen jeden Alters und jeder Herkunft faszinieren kann.

Natürlich geht es um Swing, aber vor allem um die inzwischen fast ausgestorbenen Spielarten Ragtime und Stride, was jeder eigentlich als Geräuschteppich für die lustigen Schwarzweiß-Stummfilme kennt und Anfang des vergangenen Jahrhunderts als die Popmusik dieser Zeit galt. Beim seinem zweiten Neuburg-Gastspiel innerhalb weniger Monate (nach seinem Auftritt im Schlösschen Hesselohe) im abermals knackvollen Birdland-Jazzclub wird aber spätestens nach der Pause deutlich, wo die schmale Grenze zwischen populistischen Piano-Kapriolen und hoher Klavier-Kunst verläuft. Bernd Lhotzky balanciert höchst virtuos auf ihr. Dabei weiß er ganz genau, wie man Aha-Effekte kreiert, das Publikum in Verzückung versetzt und zum Finale nach langanhaltendem Applaus zwei Zugaben herausholt. Er besitzt die Fähigkeit, aus dem, was die Menschen gerne hören, etwas Wertvolles zu kreieren und sich selbst dabei unglaubliche hohe technische Hürden aufzuerlegen, bei denen die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen dankend abgewunken hätten.

Der Mann ist präzise und akkurat im Anschlag, er kann schnell und langsam, besitzt die Beharrlichkeit eines Noten-Archäologen, will jeden einzelnen im Auditorium fordern und gleichermaßen unterhalten sowie etwas völlig Unbekanntes so vertraut wie einen Gassenhauer klingen lassen. Wenn er zum Beispiel dem Elfenbein-Pionier Willie „The Lion“ Smith mit einem Auszug seines Programms „Der Paffende Löwe“ huldigt, dann tut er das mit einem in der Theorie völlig abwegigen Konzept, das an eine Kombination aus Zwiebeln, Marmelade und Wodka erinnert: Er vermischt Dizzy Gillespies „Con Alma“ mit einer Prise Ragtime und einem Schuss Bach. Klassische Züge trägt „Graceful Ghost“ von William Bolcom, während er ein anderes Stück nicht in der üblichen AABA-Form, sondern mit vier völlig verschiedenen Teilen serviert. Das Resultat: Kollektives Staunen und bisweilen offene Münder.

Bernd Lhotzky hat keine Noten vor sich liegen. Er lässt es – wie man so schön sagt – laufen. Dabei schüttelt er halsbrecherische Triolen, akrobatische Akkordsprünge und rasende Läufe vermeintlich spielerisch leicht aus dem Handgelenkt. Für seine elfjährige Tochter ist das alles allerdings manchmal viel zu flott. So erzählt der Papa launig, er sei von ihr ermahnt worden, nicht immer diesen nervigen Zirkus auf der Klaviatur hinlegen, sondern lieber einen Gang zurückzuschalten. Das Resultat „Yaraʼs Lazy Strut“ verblüfft wegen seiner langsamen Innigkeit und einfachen, aber tiefgehenden Struktur – nicht der erste Überraschungseffekt an diesem Abend. Zum Schluss gibt es dann doch noch eine verschrobene schrullige, hyperaktive Hetzjagd auf dem Themakorsett von „Für Elise“ und einen lebensbejahende und Gottseidank nicht so rührselige Ragtime-Version von „Over The Rainbow“.

Bernd Lhotzkys Soloprogramm im Neuburger Hofapothekenkeller: Das sind fein geschliffene Miniaturen, die begeistern. Lauter kleine Kunstwerke, die in ihrer Gesamtheit am Ende eines akustischen Feinschmeckerabends etwas Großes werden können. Große Kunst nämlich.