Benny Green Trio | 17.03.2017

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Alles dreht sich wie in einem Karussell, schneller, immer schneller. Oder es fühlt sich an wie eine Fahrt mit der Achterbahn: rauf und runter, nach links, nach rechts, Bauchkribbeln, Nervenkitzel. Das pure Vergnügen. Kann ein Mensch wirklich in dieser rasenden Geschwindigkeit Klavier spielen, über die Tasten sprinten, dass von den Fingern nur noch Schemen zu erkennen sind, und dabei trotzdem allzeit die richtigen Noten treffen? Und: Hat diese aberwitzige Tempohatz, dieses aufgemotzte Highspeed-Piano, das Benny Green da im vollbesetzten Neuburger „Birdland“ auf eine gut zweieinhalbstündige Tour de Force schickt, noch etwas mit Jazz zu tun? Eine ganze Menge!

Bei Green, diesem 54-jährigen Tausendsassa, scheint es über weite Strecken dieses Konzertes – seinem zweiten nach über 25-jähriger Neuburg-Pause – nur eine Devise zu geben: Vollgas, Affenzahn, gefühlte 1000 Noten in einer Minute, irre Soli ohne Pause, alles hart an der Grenze zum Selbstzweck und nur ganz, ganz selten wirklich darüber. Es macht einen sprachlos, diesem Niko Rosberg des Jazzklaviers bei der Arbeit zuzusehen, wie er seine Hände gegenläufig bewegt, trotz des High Speeds spielerisch fließend die Melodieführung von der Rechten auf die Linke verlagert und wieder zurückführt. Dabei gelingen ihm erstaunlich exakte Bögen, aberwitzige Konstruktionen, atemberaubende Modulationen, teils über anderthalb Oktaven gegriffene Akkorde und ein verblüffend paralleles Legato- und Staccatospiel. Den Leuten gefällt es, sie johlen, klatschen, pfeifen, sind aus dem Häuschen. Was Wunder. Schließlich verfügt der Kerl über eine Gabe, die viele moderne Tastendrücker ganz offensichtlich im Irrglauben, sich als Vertreter einer Hochkultur profilieren zu müssen, weggeworfen haben: Er swingt wie der Teufel!

Eine Art Oscar Peterson 2.0. Die Neuauflage eines der größten Jazzpianisten aller Zeiten; aufgepimpt, getunt, mit eingebauter Fußwipp-Mechanik, Spoilern, Sportdesign und Turbogang. Oder noch treffender: Benny Green reloaded. Die Rückkehr eines Hoffnungsträgers, der sich zum Ende des 20. Jahrhunderts anschickte, mit seiner stupenden Technik die Jazzwelt aus den Angeln zu heben. Diesmal wirkt er wesentlich gelöster als noch zu Beginn der 1990er Jahre, nicht mehr so introvertiert und verkniffen. Und er scheint in dem wieselflinken Bassisten David Wong und Geburtstagskind Ridney Green an den Drums endlich auch kongeniale Partner für seine halsbrecherischen Parforceritte gefunden zu haben. Der Hofapothekenkeller sei ein „Magical Place“, der beste Jazzclub außerhalb der Vereinigten Staaten, sagt Green, und an seiner stockenden Stimme lässt sich erahnen, dass es sich dabei nicht nur um eine Höflichkeitsfloskel handelt.

Damals konnten die Fans in Neuburg noch ein Riesentalent auf der Suche beobachten. Der alte, junge Benny tüftelte in jenen Tagen an einer stimmigen Balance zwischen heißen Uptempo-Nummern, gediegenen Gospelhymnen und Bluesnummer sowie hauchzarten Balladen. In wenigen Momenten, etwa in dem wunderschönen Standard „It Might As Well Be Spring“ oder in der Eigenkomposition „Humphrey“, entschleunigt sich der neue Green auch heute noch selbst, nimmt sich komplett zurück und tupft einen schwerelosen Anschlag auf die Tasten, der noch stundenlang im inneren Ohr nachschwingt. Viel zu selten zeigt Green an diesem rauschhaften Abend auch diese Facette seines Könnens, seine Verwundbarkeit. Sie lässt ihn neben all den testosterongesteuerten Abenteuerexkursen noch einen Tick sympathischer, menschlicher, vollkommener erscheinen.