Bennie Wallace Trio | 23.04.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Bennie hat Schnupfen. Sein wundgescheuerter, knallroter Riechkolben leuchtet je nach Scheinwerferposition sogar intensiver als das golden glänzende Horn. Und müde ist er auch noch, hundemüde. Schlechte Karten also für die Rückkehr eines der weltbesten Tenorsaxofonisten nach Neuburg, der sich im vergangenen November mit seinem unvergesslichen Coleman Hawkins-Project einen unverrückbaren Platz in der Geschichte des „Birdland“-Jazzclubs erspielte.

Diesmal steht er sogar im relativ schutzlosen Käfig eines archaischen Saxofontrios, in dem es viel weniger Zeit zum Ausruhen gibt. Jede Schwäche wird da gnadenlos aufgedeckt, keine Chance, etwas zu kaschieren oder sich hinter einem anderen Bläser zu verstecken. Armer Bennie! Doch wer glaubt, der angeschlagene Held würde sich diesen widrigen Umständen wehrlos ergeben, der kalkuliert nicht das Kämpferherz des 58-jährigen aus dem berühmten Uhren-Städtchen Greenwich/Connecticut ein. Bennie Wallace stellt sich der Herausforderung im Hofapothekenkeller, „weil ich diesen Club über alles liebe“. Also spielt er erneut, als ginge es um sein Leben. Im Prinzip – seien wir mal ehrlich – kann er gar nicht anders.

Immer Vollgas, immer höchste Intensität, selbst bei den leisesten Balladen. Gleich zu Beginn „Little Willie leaps“ und der „Moon Song”: Es sind seine akustischen Gesten, dieses hörbare Augenzwinkern, die kleinen Grübchen in der Musik, das verschmitzte Blinzeln und das draufgängerische Flirten mit dem Publikum, die Bennie Wallace ganz markant von anderen unterscheiden. Der hagere Mann produziert einen schattierungsreichen, ausdruckstarken Sound, der alles Gute aus der Geschichte seines Instrumentes absorbiert: Coleman Hawkins, Ben Webster, Sonny Rollins, Benny Golson, Archie Shepp oder Eric Dolphy. Sein Ton kann hart wie ein Diamantbohrer durch jedes Thema pflügen und nur Sekunden später in einen schwebenden Song wie „Someone to watch over me“ schlüpfen, als wäre dies ein Samthandschuh.

Selbst die Calypso-Fassung von „It`s only a Papermoon“ ist völlig anders: berstend, viril, voller wohlig runder Ecken. Ein Papiermond, der strahlt wie ein ganzes Atomkraftwerk. Manchmal meldet sich sogar wieder der ganz junge Bennie Wallace zu Wort; ein Gipfelstürmer, der gerne Saxofonist bei Thelonious Monk geworden wäre. Der zeigt dann noch einmal dieses waghalsige Surfen auf dem obersten Punkt der Welle, diese tonalen Bungeesprünge, diese große, fast körperlich spürbare Luftverdrängung, das Streicheln der Noten – unglaublich!

Ein rares Erlebnis, das freilich ohne einen Drummer wie Alvin Queen, den vielleicht besten Swinger der aktuellen Jazzszene, nur ein halbes geworden wäre. Queen fächert, schaufelt, treibt, legt einen Zahn zu oder drosselt, reagiert blitzschnell und beweist jedem, wie viele Macht ein Schlagwerker besitzt, um die Dramaturgie zu steuern. Auch Bassist Danton Boller entwickelt sich offenbar regelmäßig neben Wallace zum Riesen mit ultragroßem Ton und erstaunlicher Präsenz. Sein megaspannendes Intro zu „Willow weep for me“ mit diesem leise vom Steg rieselnden Sand, diesen schlangenlinienförmigen Bewegungen – das macht dem jungen Mann so leicht kein anderer nach.

Vor allem im zweiten Set wird seine Wiederkehr an die Donau eine Lektion für Technik, Virtuosität, Power und Sensibilität. So zeitgenössisch sein vor Fantasie berstendes Spiel auch ist; die bewegende, tief aus der Seele kommende Intensität, mit der Bennie Wallace Balladen wie „Somewhere over the Rainbow“ durchlebt, scheint aus einer völlig anderen Zeit zu stammen. Sie deklassiert in ihrer Echtheit so viele scheinbare Gefühlsäußerungen von heute als standardisierte, in hübsche Häppchen abgepackte, sterile Empfindungen. Der Jazz bräuchte viele Wallaces, um wieder das Gros der Menschen zu erreichen.