Das Motto der aktuellen CD des Bastian Jütte Quartet ist verblüffend, ein wenig selbstironisch, aber im Kern schon ernst gemeint – „Happiness is overrated“. Nicht ganz leicht zu übersetzen, aber es bedeutet soviel wie: Glück, das Gefühl oderdas Streben nach Glück wird gerne überbewertet, auch das Glück des unbekümmerten, fröhlichen Drauflos-Spielens in der Musik. Anders ausgedrückt: Jazz (und jede Art von ambitionierter Kunst) ist nicht so easy-locker, sondern durchaus eine ernste Angelegenheit, eine Sache, die Anstrengung und formales Können verlangt. Sozusagen als Voraussetzung für die Glück spendenden Freiheiten der Improvisation.
Diese Verbindung aus der Disziplin der Kompositionen und der freien Gestaltung aus dem Augenblick heraus kennzeichnet das Bastian Jütte Quartet. Die einzelne Stücke aus der Feder des Echo-Preisträgers, Schlagzeugers und Komponisten Bastian Jütte haben einen melancholischen, manchmal düsteren Grundton, sie strahlen erst auf den zweiten Blick eine Art gebrochener Schönheit aus, wenn man so will, eine Art musikalisches Glück, das aber immer irgendwie gefährdet und gebrochen wirkt. Die rhythmisch teils vertrackten Kompositionen leben aus der Improvisationskunst aller vier Musiker, die von einer grundlegenden Ordnung geprägt ist und sich nicht einfach zu Kabinettsstücken davontragen lässt. Das gilt für Florian Trübsbach (Saxofon) genauso wie für Henning Sieverts (Bass), Rainer Böhm (Klavier) und für Bastian Jütte selbst.
Die einzelnen Stücke, manchmal ungewöhnlich lang für Jazz-Nummern, sind durchkomponiert, man kann nicht einfach entspannt zuhören, sondern wird zum Mitdenken regelrecht animiert. Etwa beim Werk „Rainers Metamorphosen“, das formal dem Pianisten Rainer Böhm gewidmet ist und die Wandlungen seiner emotionalen Welt zum Gegenstand hat. In Wirklichkeit geht es aber um die Verwandlungen menschlicher Gefühle überhaupt, die eben mit „Happiness“ nur unzureichend zu fassen sind, um sensible musikalische Dialoge von Klavier und Bass, Saxofon und Schlagwerk oder in anderer Kombination, oft auch kammermusikalisch anmutend wie ein Streicher-, Bläser- oder Klavierquartett. Es sind Anklänge an Franz Schubert, Anton Bruckner, Igor Strawinsky oder Claude Debussy, ja bis hin zu Jimmy Hendrix zu hören.
Auch verrückte Ideen werden umgesetzt, ein Stück vermischt zwei Zeitebenen, genauer die Grundform eines Vierer-Taktes mit der exzentrischen Variante eines Siebener-Rhythmus. Das Ganze klingt zunächst etwas schräg, aber das Stück entpuppt sich als raffiniertes Schwingen zwischen Chaos und System. Ein intellektuelles Vergnügen, das vom am Ende begeisterten Publikum im Birdland Keller zunächst einmal etwas verlangt. Der Lohn ist eine Art Happiness – die darf man zwar nicht überschätzen, aber schon genießen, wenn sie sich einmal einstellt.