Art Of Piano 250 | 31.01.2024

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Wenn der Flügel sprechen könnte, aus ihm würden neben unzähligen betörenden Tönen auch jede Menge Geschichten herausfließen, die jedem begabten Romanautor zur Ehre gereicht hätten. Und wenn das inzwischen legendäre Bösendorfer Grand Piano M 200 am kommenden Samstag, 3. Februar, im Neuburger Birdland-Jazzclub in der eigens dafür ins Leben gerufenen Reihe „Art Of Piano“ zum 250. Mal seine opulente Klangfülle zur Schau stellt, dann waren es in den vergangenen 33 Jahren noch weit mehr namhafte Klavierspielerinnen und Klavierspieler, die ihre Finger zwischen die Elfenbeintasten legten. Denn Birdland-Chef Manfred Rehm hatte die plakative Werkschau für Pianisten jeder Herkunft, Stilistik und Generation einst ausschließlich auf solistische Darbietungen, Duos und Trios begrenzt. „Unser Pianobuch umfasst aber weit mehr als das Doppelte an Einträgen“, erzählt der Mann, den sie in Neuburg nur respektvoll Impresario nennen und der scheinbar alterslos inzwischen im 39. Jahr in „seinem“ Club alle Fäden in der Hand hält.

Jeder outet sich darin als glühende Verehrer des Bösendorfers, preist diesen geradezu hymnisch, weil man als leidgeprüfter Tastendrücker bekanntlich nur äußerst selten ein Instrument von solcher Qualität angeboten bekommt. Nicht wenige behaupten gar, dass der Ruf des Neuburger Birdlands, einer der besten Jazzclubs Europas, ja sogar weltweit zu sein, neben vielen anderen wertschätzenden Nuancen vor allem diesem Flügel zu verdanken wäre. Doch halt: Einen Eintrag im Pianobuch gibt es tatsächlich, der eine negative Bewertung enthält. Im Mai 1995 ärgerte sich der Kanadier Paul Bley, ein gefürchteter Avantgarde-Fahrensmann, Klangfetischist und – ausgewiesener Bösendorfer-Experte: „Fix the piano please!“ (Bitte das Piano stimmen!)

Was war passiert? Thomas Olbrich, von Anbeginn bis heute als feinfühliger Klavierstimmer (weshalb ihm die Pianisten den Spitznamen „Tuner“ verpassten) unverzichtbarer Bestandteil des Erfolgs, hatte ausgerechnet an diesem Tag das einzige und bislang letzte Mal gefehlt, weil sein Vater Franz 80. Geburtstag gefeiert hatte. Überhaupt Franz Olbrich: Dem Besitzer eines Pianohauses in Unterhausen bei Neuburg und seiner Hartnäckigkeit war es zu verdanken, dass der Name der traditionsreichen Wiener Piano-Manufaktur überhaupt ins Bewusstsein von Manfred Rehm rückte. „Als wir mit unserem Mäzen Fritz von Philipp nach der Eröffnung des Kellers unter der Hofapotheke über einen neuen Flügel als Ersatz für unseren alten Kawai nachdachten, lag er mir ständig in den Ohren, mich für einen Bösendorfer zu entscheiden. Ich dachte, ich erledige das Problem elegant, indem ich bei zehn bekannten Pianisten nach ihrer Lieblingsmarke fragte. Zu meinem großen Erstaunen haben acht für Bösendorfer plädiert.“

Und die Bösendorfer-Verantwortlichen lieferten weitere Argumente, zählten stolz auf, wer nicht nur bei den Klassikern, sondern mittlerweile bei den Jazzern das Wiener Edelprodukt schätzt (Herbie Hancock, Count Basie, Dave Brubeck) und versuchten die anfangs noch zaudernden Neuburger mit einem Sonderpreis zu ködern. Den endgültigen Ausschlag gab schließlich das Angebot, dass keiner Geringerer als Oscar Peterson, der damals bekannteste Bösendorfer-Aficionado im Jazz, eigenes für das Birdland fünf Flügel auf ihre Jazz-Tauglichkeit hin testen sollte. „Das war natürlich famos“, erinnert sich der Impresario, „und gab endgültig den Ausschlag.“ Der vielbeschäftigte Peterson musste weiter, statt seiner bat Manfred Rehm aber einen anderen bekannten Pianisten, nämlich den in jenen Tagen in München lebenden Amerikaner Larry Porter, die finale Auswahl zu treffen. Logisch, dass Porter am 12. September 1991 auch mit seinem Trio das Auftaktkonzert von „Art Of Piano“ bestreiten durfte. „An Oscar Peterson waren wir natürlich ebenfalls dran. Aber es passte aus Termingründen nicht, und dann erlitt er einen Schlaganfall“, erinnert sich Manfred Rehm.

Fast geschenkt. Die Prominenz der Tastendrücker, die seither nach Neuburg kamen, gleicht einem Auszug aus dem Jazzlexikon in 88 Tasten, entsprechende Anekdoten inklusive. Von dem divenhaften Amerikaner Ahmad Jamal, einem überzeugten Steinway-Triebtäter, war überliefert, dass er schon weit namhafteren Auftrittsstätten den Rücken kehrte, ohne einen einzigen Ton anzuschlagen, nur weil er dort nicht seinen Lieblingsflügel vorfand. Im Birdland aber berührte Jamal 1998 nach kurzem Zögern doch den Bösendorfer – und es wurde ein grandioses Konzert! Tommy Flanagan, Lieblingspianist von Ella Fitzgerald, fühlte sich bei einem Solo-Abend überhaupt nicht wohl, auch weil der Bösendorfer bekannt dafür war, jeden Fehler schonungslos offenzulegen. Als der Mann aus New York City ein paar Jahre später im Quintett wiederkam, schrieb er euphorisch, dass es nun endlich an der Zeit sei, das wunderbare Piano mit allen Facetten zu genießen.

Das letzte Europa-Gastspiel des großen Cecil Taylor führte diesen 2011 ausgerechnet nach Neuburg. Zwar bestand längst nicht mehr die Gefahr, den Flügel vor der brachialen Zerstörungswut des Freejazz-Papstes in Sicherheit zu bringen, wie dies noch in den 1970er Jahren hin und wieder geboten schien. Aber das Zupfen der Saiten und das Verteilen von „Toys“ im Inneren strapazierten das edle Instrument bis an seine Belastungsgrenze. Nicht das einzige Mal übrigens. Ein Pianist kippte im Überschwang ein neben den Noten abgestelltes Glas Bier in den Flügel – fast ein Sakrileg. Dagegen wussten andere wie Diana Krall („Toller Club“), Esbjörn Svensson („Wunderbarer Flügel!“), Michel Petrucciani, Dave Brubeck, Brad Mehldau, Hank Jones, Kenny Barron, Martial Solal, Aki Takase, Michael Wollny, George Gruntz („Herzlichen Dank für den wunderschönen Abend mit unserem Freund Jakob Bösendorfer“) Joachim Kühn („Ein geweihtes Instrument“), Vijay Iyer, Paul Kuhn, Mal Waldron, Gonzalo Rubalcaba, Geri Allen oder Monty Alexander durchaus, wie man einem solchen Schatz angemessen entgegentritt.

Am Samstag schließt sich der Kreis. Zum 250. Jubiläum von „Art Of Piano“ kommt der wieder, mit dem alles begann: Larry Porter. Inzwischen 72 und nach einem Intermezzo in New York nach Berlin zurückgekehrt, obliegt es nun, sein längst erwachsenes „Baby“ zu präsentieren. Alle sind sie in die Jahre gekommen, Porter, das Publikum, der Club. Nur am Bösendorfer-Flügel scheint die Zeit spurlos vorübergegangen sein – dank der fürsorglichen Pflege seines „Tuners“ und der Streicheleinheiten von unzähligen Pianisten-Händen.