Anke Helfrich Trio feat. Adrian Mears | 18.11.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es gab Zeiten, in denen wurden politische Überzeugungen auch mit den Mitteln des Jazz ausgedrückt, und zwar mitunter ziemlich radikal. Das heißt nun nicht, dass die Pianistin Anke Helfrich, die zusammen mit Dietmar Fuhr am Kontrabass, Jens Düppe am Schlagzeug und Adrian Mears als Gast an der Posaune und dem im Jazz höchst selten zu hörenden Didgeridoo bei ihrem Birdland-Konzert aktivistische Parolen verbreiteten, aber sie beweist doch Hal­tung weit über die Musik hinaus.
Es geht um „Dedications“ an diesem Abend, um Widmungen. Und die fallen, sobald sie von der temperamentvollen, quirligen, experimentierfreudigen aber doch immer verlässlichen Pianistin aus­gehen, hingebungsvoll und ehrlich aus. „La Oscura“ beschäftigt sich mit dem Schicksal der Malerin Frida Kahlo, das rhythmisch verwegene „Invictus“ mit Nelson Mandela, dem Helfrich sich, die lange Zeit in Windhuk gelebt hat, beson­ders verbunden fühlt. Die gerappten Zei­len „I’m the master of my fate, I’m the captain of my soul“ stehen dabei wie ein Monument im Raum, während die Band dem Sound von Namibia nachspürt.
Ein Meisterwerk ist „Cause I’m Free“, das sie zu Ehren der australischen Mit­telstrecklerin Kathy Freeman und deren Bekenntnis zu den Aboriginees geschrie­ben hat, und „The Prize“ macht einen schlicht sprachlos. Die Idee, die berühm­te Rede Martin Luther King’s „I Have A Dream“ per Sampler einzuspielen und dessen Sprechrhythmus zum Metrum für eine eigene Komposition zu machen, ist grandios. Diese Finte macht erst so rich­tig deutlich, dass King nicht nur ein be­geisternder Rhetoriker war, sondern eben auch ein Prediger, der ganz genau wuss­te, wie man eine Menschenmasse emotio­nal packt. Und dass sie schließ­lich den „Waltz For Birdland“ dem Jazz­club in Neuburgs Altstadt widmet, ist, wie man deutlich spürt, mehr als nur eine nette Geste.
Die Musik korreliert mit dem gedankli­chen Inhalt. So ist das vom Tarot inspi­rierte Stück „Der Turm“ immer wieder – dem Spiel entsprechend – vom Einsturz bedroht, und das während des Lock­downs entstandene „Time Will Tell“ be­ginnt kammermusikalisch, eingesperrt sozusagen, kämpft sich allmählich frei und lernt schließlich, ohne Einschrän­kungen selbst zu laufen, verwegene Sprünge und avantgardistische Kapriolen mit eingeschlossen. Deutlicher kann man die derzeitige Befindlichkeit mit rein musikalischen Mitteln vermutlich kaum ausdrücken.
Ja, in der Tat, es ist ein absolut außerge­wöhnliches Konzert, dass da zum Auf­takt des langen Wochenendes zum Ab­schluss des „11. Birdland Radio Jazz Festivals“ über die Bühne geht. Ein Kon­zert mit Stücken, die allesamt von der ersten bis zu letzten Minute spannend, innovativ, stilistisch offen sind, nie­ je­doch elitär. Wer nicht da war, hat in der Tat etwas versäumt. Nachhören kann man den Auftritt von Anke Helfrich und ihrer Band heute Abend im Rahmen der vierstündigen Jazznacht, die vom BR live aus dem Birdland übertra­gen wird. Sendetermin: 22:05 Uhr bis 24 Uhr auf BR Klassik, anschließend 0.05 Uhr bis 2.00 Uhr auf Bay­ern 2.