Andreas Willers Quintet | 26.10.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

„Haben Sie Geduld, lassen Sie sich fallen, in ein paar Minuten ist alles vorbei.“ Matthias Schubert kennt seine Pappenheimer. Ein Stück wie „Statik und Penetranz“ bedarf schon einer flott-entkrampfenden Gebrauchsanweisung, vielleicht sogar erläuternder Worte. Etwa wie folgt: „Das war das Thema und jetzt mündet die Band in eine Kollektivimprovisation…“

Aber Freejazz zu beschreiben, das verbietet sich für jeden selbstbewussten Freigeist. Also lässt die deutsch-französische Combo um den Gitarristen Andreas Willers lieber ihre Kompositionen sprechen und beobachtet derweil aus den Augenwinkeln, wie entsetzte Mainstreamfans mitten unterm Drumsolo die Rechnung verlangen und panikartig die Flucht aus dem Neuburger „Birdland“-Jazzclub ergreifen. Alles schon mal da gewesen. Wer den Nonkonformismus sucht und das schrille Abenteuer dem glatt-swingenden Populismus vorzieht, der ist ein auf ewig gebrandmarkter Außenseiter.

Vielleicht ist es aber gerade das, was Willers und seine Kumpane wollen: Die Spreu vom Weizen trennen, gute Musik von schlechter, aufmerksame Lauscher von Gelegenheitshörern. Ein Auftritt wie der im Hofapothekenkeller ist wie ein Sieb. Irgendwann bleiben die übrig, die wirklich verstehen, warum die fünf nicht „Take the A-Train“ spielen, sondern sich an provokantem Notengut laben, das solch skurrile Namen wie „Deception“ (Betrug) trägt.

Natürlich ist diese Art von Jazz auch ein wenig Betrug. Sie führt das Publikum an der Nase herum, wirkt tatsächlich enervierend statisch, oft penetrant. Aber in den meisten Fällen entpuppt sich die klangliche Giftwolke als gezielter Sinneskitzel, der bei Kontakt wie ein Seifenblase platzt. Selbstironie, Glosse und hintersinniger Humor spielen in Willers Quintett die tragende Rolle. Matthias Schuberth etwa bedient sein Tenorsaxofon wie ein Kung Fu-Kämpfer: Ständig sprungbereit, attackierend, scharfe Kanten setzend, manchmal auch verletzend. Er stöhnt, schreit, röhrt und rotzt, schwurbelt einige geatmete Fetzen durchs Mundstück, steppt auf den Ventilklappen oder simuliert plakativ ein startendes Motorrad.

Und dann der Violinist Dominique Pifarely: Er zerstört alles, was Paganini einst an Parametern für dieses Instrument definierte, führt seinen Bogen wie ein Schwert, weidet sich in der Dissonanz, taucht tief ab in die Region jenseits der Taktstriche und findet – scheinbar hoffnungslos verloren – doch immer wieder einen Weg zurück ins Thema. Auch Drummer Michael Griener fällt völlig aus dem Rahmen als einer, der lieber schräge Tonleitern als 6/8-Takte trommelt, während ihm Bassist Horst Nonnenmacher scheinbar unmotivierte Tupfer hinwirft, die sich auf wundersame Weise doch noch zu einem Rhythmus fügen.

Dabei entstehen circensische Jonglagen und varietéreife Breaks, die Andreas Willers mit seiner deftig rockigen oder minimalistischen Gitarre unscheinbar, aber bestimmt im Stile eines Regisseurs ordnet. Diese Musik ist Komödie, Drama, Monolog und Massenszene zugleich; fragend, gestenreich, emotional offen.

So, als hätten Albert Ayler und Heiner Müller im chaotisch-geordneten, ungeschützten, vertrauten Mit-, Neben- und Durcheinander ein Bühnenstück auf einem transsylvanischen Friedhof inszeniert. Wer`s mag, weiß, dass auch Albträume manchmal ungeheueres Wohlbehagen bereiten können.