Al Foster Quartet | 25.10.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wie Miles das bloß ausgehalten hat? Der Typ zappelt fahrig auf seinem Hocker herum, schraubt während des ganzen Abends im Neuburger „Birdland“-Jazzclub immer wieder an den Becken, verstellt pausenlos die Trommeln, summt noch dazu furchtbar schräg die Melodien mit und reißt seltsame Witze am laufenden Band. Aber er kann Schlagzeug spielen.

So gut, dass der innovativste aller Jazztrompeter einst lieber ihn als einen erklärten Superstar wie Jack DeJohnette in seiner Band haben wollte. Al Foster schichtete 13 Jahre lang die Groovetürme bei Miles Davis auf, weil er wie kein Zweiter alle umherfliegenden Tempi dieses Planeten mit der Muttermilch aufgesogen zu haben schien. Der jung gebliebene, manchmal sogar etwas kindlich wirkende 58-Jährige kann und darf einfach alles. In seinen Händen fügen sich die Dinge stets auf wundersame Weise zu einem Kunstwerk wider den Zeitgeist zusammen.

Sein zweiter Auftritt in Neuburg nach 1999 brachte mit dem Israeli Eli Degibri einen neuen, bilinguistischen Saxofonisten, dessen Sopranoton wie feiner Sand durch den Schalltrichter rieselt, der aber am Tenorsax lichterloh brennt. Ansonsten unterstützen Al Foster einmal mehr sein „Main Man“ Doug Weiss (am Kontrabass filigrane Ornamente voller Körperlichkeit modellierend) und der Wunderpianist Aaron Goldberg, bekannt aus Joshua Redmans früherer Workingband. Die Songs sind nahezu die gleichen wie damals, aber der Ausdruck erwartungsgemäß ein völlig anderer. Wie überhaupt die größte Konstante bei Foster sein ständiger, unberechenbarer Wandel scheint.

Da kann es passieren, dass die ersten drei Songs einfach unten durch rutschen, weil der Chef im Hofpothekenkeller zunächst nur mit der Justierung seines Sets beschäftigt sein muss (hätte das nicht vorher auch erledigt werden können?), bis er schließlich wie ein Windrad über das gesamte Set kreiseln kann. Foster tut dies ungeheuer rhythmisch vertrackt, unscheinbar dominant und souverän auf die Nuancen eines musikalischen Gesamtprozesses achtend.

Sein Intro zu Wayne Shorters „ESP“ vermittelt den Eindruck eines Gewitters, unterfüttert von tickenden Becken, die wie Regentropfen hernieder prasseln, sowie der zischenden, windartigen Hi-Hat. Auch Sonny Rollins` Gute-Laune-Calypso „St. Thomas“ beginnt verblüffend verschachelt, fast sperrig, wobei Sax und Piano immer knapp neben der Welle surfen, aber trotzdem voll auf Kurs liegen. Wie überhaupt sich die Band nach der Pause immer besser zu einer Einheit findet, die seltsamen Launen ihres Leader in pure Energie umwandelnd.

Meist setzt Aaron Goldberg angenehm wirkungsvoll die Segel, nimmt eine steife, impressionistische Bluesprise auf und lenkt das Schiff mitten in die swingende Schwerelosigkeit. Absoluter Höhepunkt eines kurzweiligen, weit über dem Durchschnitt liegenden Abends ist John Coltranes selten gespieltes „26-2“, ein Stolperstein voller sich verschiebender Harmoniewechsel, aus dem das Ensemble einen flimmernd glühenden Soundhimmel zaubert, zu dem jeder sein absolut bestes Solo beisteuern darf.

Und Al Foster mitten in eine tranceartige Sequenz eine Definition abliefert, mit welcher der virtuose Schalk sich und sein Tun selbst ein wenig auf die Schippe nimmt. Jazz sei nun mal „very intellectual“. Wirklich?