7. Birdland Radio Jazz Festival 2017 | 10.11.2017

Jazzpodium | Karl Leitner
 

Die bayerische Kreisstadt Neuburg an der Donau mag in mancher Hinsicht Provinz sein. Wer sich für Jazz interessiert, der freilich kennt die Stadt zumindest dem Namen nach, und zwar des Birdlands wegen, des kleinen aber feinen Clubs in der dortigen historischen Altstadt, der das ganze Jahr über ein exquisites Konzertprogramm anbietet. Selbst wenn man persönlich nie anwesend war: Das Birdland ist vielen durchaus bekannt, und sei es auch „nur“ aus dem Radio.

Aber was heißt schon „nur“. Der Bayerische Rundfunk leistet es sich immerhin seit nunmehr sieben Jahren, diverse Ü-Wagen an die Donau zu schicken, zwei Stockwerke über dem Club ein Sendestudio fest zu installieren und von dort insgesamt 14 Stunden Jazz auf seinen Programmen BR-Klassik und Bayern 2 zu senden, wobei es dabei einerseits um die Ausstrahlung dort mitgeschnittener Konzerte geht, andererseits um eine vierstündige nächtliche Livesendung als Festivalabschluss. Das Ganze nennt sich „Birdland Radio Jazz Festival“ und fand im Oktober und November letzten Jahres nun zum siebten Male statt.

Das Festival ist ein Glücksfall in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird dem Publikum vor Ort und dem am Radio in komprimierter Form das geboten, wofür das Birdland-Programm das ganze Jahr über steht, nämlich für Vielseitigkeit und Offenheit. Diverse Strömungen, Herangehensweisen, Konzepte werden vorgestellt. Stars, in der Szene Etablierte und Newcomer treten gleichberechtigt auf, und wenn Manfred Rehm, Chef des Birdland und Programmgestalter des Festivals in Personalunion, wirklich mal einen größeren Saal benötigt, weicht er eben ins keine 100 Meter entfernte Stadttheater Neuburg aus oder ins Audi Forum im benachbarten Ingolstadt.

Ein Glücksfall ist das Festival auch für die Musiker. Dass sie via Rundfunk ein größeres Publikum erreichen, ist gut fürs Geschäft, zudem war noch jeder, der hier spielte, der einzigartigen Clubatmosphäre wegen sehr angetan wenn nicht gar regelrecht begeistert. Georgie Fame etwa schrieb nach seinem Festivalauftritt „To the Best Club in the World“ ins Gästebuch. Dies geschah sicherlich nicht nur aus Gründen der Höflichkeit. Wer ihn erlebte, sah sehr schnell, dass er sich tatsächlich pudelwohl fühlte. Dass schließlich auch die Leute vom Rundfunk sich stets herzlich aufgenommen und betreut fühlen, betonen Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer, die zuständigen Redakteure, immer wieder.

Nicht zuletzt ist das Festival auch ein Glücksfall für die Stadt Neuburg selbst. Eigentlich liegt das auf der Hand, denn für einen vergleichbaren Werbeeffekt angesichts oftmaliger Präsenz im Radio müsste der Kämmerer wohl ziemlich tief in die Tasche greifen. Durch das Festival erhält er ihn umsonst. Umso unverständlicher ist deswegen, dass auch 2017 niemand von offizieller Seite es für nötig befand, die Verbundenheit der Stadtregierung mit dem Festival durch persönliches Erscheinen zu demonstrieren. Schade, aber nicht zu ändern, und Neuburg ist in dieser Hinsicht vermutlich auch kein Einzelfall.

Zum Festival-Auftakt hatten sich „Bolero Berlin“ im Audi Forum angesagt. Die Frage war, zu welchem Ergebnis man käme, wenn sich Mitglieder der Berliner Philharmoniker mit dem Jazzgitarristen Helmut Nieberle und dem Perkussionisten Topo Gioia zusammentun und klassische Werke unter Verwendung der Arrangements Nieberles jazznah interpretieren würden. Die Antwort war eine mit viel Fingerspitzengefühl und großem Einfühlungsvermögen vorgetragene Melange, wobei man gut beobachten konnte, mit welcher Liebe, Offenheit und Begeisterung im Grunde genrefremde Musiker sich auf das „Wagnis Jazz“ einließen.

Weiter ging’s mit Aaron Goldberg und seinem Trio. Goldberg wurde seinem Ruf mehr als gerecht und entpuppte sich als der „komplette“ Pianist schlechthin. Vor sich hin träumender Lyriker, rasanter Draufgänger, Romantiker und Macho – Goldberg schlüpfte in vielerlei Rollen, verpasste jedem Stück den idealen Anstrich. Er hing einem einzelnen Ton nach, ließ ihn emotional nachklingen, um gleich anschließend wie ein Derwisch über die Tasten zu rasen. Seine Spieltechnik ist brillant, wurde aber nie zum Selbstzweck.

Der ehemalige Drummer von Miles Davis, Al Foster, kam mit seinem Quintett ins Birdland, um mit einem Charly Parker-Tribute-Konzert sich vor einer der wichtigsten Figuren des Jazz schlechthin zu verbeugen. Der mittlerweile 74-jährige, der so sich gerne hinter seinen Becken versteckt und von dort aus für den optimalen Pulsschlag sorgt, gewährte seinen Kollegen viel Raum für Improvisationen, den Saxofonist Mike DiRubbo besonders ausgiebig und einfallsreich nutzte. Und als nach knapp zwei Stunden die letzte Note gespielt war, begründete er das Ende des Konzerts damit, dass er ja schließlich schon alt und deswegen ziemlich erschöpft sei. Um dann mit breitem Grinsen in die 20-minütige Zugabe einzusteigen. Von Müdigkeit keine Spur.

Alfredo Rodriguez, der junge kubanische, temperamentvolle Pianist, brachte sein Trio mit ins Birdland. Er selbst, Bassist Munir Hossn und Schlagzeuger Michael Olivera strotzten nur so vor Tatendrang, standen für eine ungeheure Bandbreite mit Acoustic- und Electric Jazz, Fusion und Jazz-Folk, Latin und sogar Pop. Das Motto lautete: „Wir spielen alles, was uns Spaß macht. Und uns macht eigentlich alles Spaß!“ So gab es recht diffizile rhythmische Geflechte, die die Band mit höchster Präzision verwob, an anderer Stelle aber auch eine Coverversion von Michael Jacksons Pop-Hit „Thriller“. Die Bewältigung höchst diffizil angelegter, ja, geradezu verwegener musikalischer Konstrukte rief immer wieder Szenenapplaus hervor. Dass es zum Ende hin stellenweise allzu populistisch wurde, sei dem Überschwang und der Spielfreude der Musiker zugeschrieben.

Georgie Fame, die graue Eminenz unter den Hammond-Spielern Großbritanniens, trat mit seinen Söhnen James (Schlagzeug) und Tristan (Gitarre) auf und lieferte ein außergewöhnliches Konzert mit Jazz, Soul, Pop und viel Rhythm’n’Blues für Kopf, Herz und Beine. Im Grunde gab Fame dem Publikum eine mit Anekdoten gespickte Privatführung durch die gesamte Musikgeschichte aus der Sicht eines Musikers, der seit den 1960ern nicht nur mitten drin ist in der Szene, sondern sie auch entscheidend mitgestaltet hat. Frühe Hits, Standards, Klassiker, überraschenderweise nichts von seinem Kumpel Van Morrison, dafür Orgel-Kunst, die höchsten Ansprüchen genügte, und eine Stimme, bei der einem als Zuhörer das Herz aufging. – Ja, Fame landete einen absoluten Volltreffer.

Das Doppelkonzert ein paar Tage später im Stadttheater Neuburg war überschrieben mit „Night Of Strings“. Man hätte es auch „Die Magie der leisen Töne“ betiteln können. Das hätte für Ferenc Snétberger, der die mit Nylonsaiten bespannte Konzertgitarre benutzt, um seine Emotionen auszudrücken, ebenso gegolten wie für Ron Carter, den großen Bassisten, der sein Golden Striker Trio – mit Russell Malone an der Gitarre und Donald Vega am Klavier – dabei hatte. Snétberger, in dessen Spiel sich auch Spuren des Gypsy Swing und des Flamenco finden, wie auch Carter und seine Kollegen gingen ungemein behutsam zu Werke. Der Platz für jede Note wurde mit Bedacht ausgewählt, Ästhetik, künstlerische Leichtigkeit, Nonchalance und Understatement trafen sich hier auf höchstem Niveau. Hätte jemand diesen Abend lediglich mit dem Adjektiv „schön“ bedacht und mit sonst gar nichts, müsste man ihm unbedingt zustimmen.

Beim Konzert des Klarinettisten Louis Sclavis, des Geigers Dominique Pifarély und des Cellisten Vincent Courtois trafen zeitgenössische Kammermusik und freier Jazz aufeinender. Die drei Musiker gingen eine fast schon symbiotische Beziehung ein, verschmolzen quasi miteinander zu einem ganz eigenen Klangbild. So nah wie diese drei an diesem Abend kommen sich Individualisten vermutlich nur ganz selten.

Den Abschluss des Festivals schließlich gestaltete das Eva Klesse Quartett. Die Band der jungen Drummerin aus Leipzig unternahm eine akustische Reise in unterschiedliche Fantasiewelten, wobei der Weg dorthin mindestens ebenso interessant war wie das Ziel selbst. Der ständige Wechsel zwischen träumerischen klanglichen Sphären und harter rhythmischer Wirklichkeit hatte Klasse und Stil. Das zweite Set dieses Konzert wurde live übertragen und war der Einstieg in die dann folgende vierstündige Jazznacht.