Martin Auer Quintet | 26.09.2020

Donaukurier | Karl Leitner
 

Zwischen 1925 und 1928 schrieb der Trompeter Louis Arm­strong mit seinen Bands Hot Five und Hot Seven Jazzgeschichte. Aus heutiger Sicht ist das, was er und seine Musiker seinerzeit spielten, traditioneller Old Time Jazz, und beim Hören vieler Stü­cke aus jener Zeit stellt sich nicht selten die Assoziation zu Blues oder Ragtime spielenden Brass- oder Marching Bands auf ihrem Weg durch die Straßen von New Orleans ein.

Das Quintett um den Trompeter Martin Auer nimmt sich dieses fast hundertjäh­rigen Erbes an, transferiert es in die Jetztzeit und kleidet es komplett neu ein. Nun wäre es zwar relativ einfach, alte Vorlagen wie den „West End Blues“, „Yes, I’m In The Baerrell“ und „You Made Me Love You“ notengetreu nach­zuspielen, aber eben so ganz und gar nicht im Sinne Auers. Der nämlich oder einer seiner Bandkollegen (Florian Trübsbach am Altsaxofon, Jan Eschke am Klavier, Andreas Kurz am Kontra­bass und Bastian Jütte am Schlagzeug) haben diesen längst zu Evergreens ge­wordenen Stücken völlig neue Arrange­ments verpasst und sie so in die Gegen­wart transferiert, ohne sie ihrer Wurzeln zu berauben.

Das ist einerseits immens spannend, wenn etwa in „Hotter Than That“ ein Dreier- und ein Vierertrakt auf solch abenteuerliche Weise miteinander ver­woben werden, dass keine Marching Band der Welt dazu Gleichschritt halten könnte. Andererseits ergeben diese Ar­rangements einen genau festgelegten Rahmen, an den man sich dann beim Spielen auch halten muss. Die Kunst ist es nun, sich innerhalb dieses selbst ge­wählten Rahmens möglichst frei zu ent­falten, ohne ihn als allzu starres, einen­gendes Korsett zu begreifen, und zudem gleichzeitig das Alte mit dem Neuen so zu verschmelzen, dass die Nahtstellen zwischen der Ära des Schellack und der der Festplatte nicht allzu deutlich zu Tage treten.

In der Tat gelingt das dieser Band, die bei einem derart diffizilen Vorhaben ver­ständlicherweise auf Notenblätter ange­wiesen ist, bei ihrem Konzert im ausver­kauften Birdland recht gut. Vor der Pause spürt man zwar ab und zu noch das Fehlen der Leichtigkeit im Vortrag, weil die überaus verzwickten Arrange­ments die volle Konzentration der Musi­ker erfordern, im zweiten Set allerdings hat die Band sich freigespielt. Jetzt hin­terlässt die Tradition auf überaus char­mante Weise ihre Fußabdrücke im Mo­dern Jazz, jetzt, bei Stücken wie „Strut­tin‘ With Some Barbeque“ etwa, herrscht das ideale Gleichgewicht, jetzt existieren beide Pole nicht mehr neben- sondern miteinander.

Die Band um Martin Auer hat sich ja geradezu spezialisiert auf den Import wichtiger Phasen des Jazz aus der Ver­gangenheit in die Gegenwart. 2018 war sie zu Gast im Birdland mit ihrem Miles Davis-Projekt, nun mit einem zu Louis Armstrong. Was die Sache im einen wie im anderen Fall so interessant macht, ist die Tatsache, dass die Band dabei nicht im Windschatten alter Helden segelt, sondern mit diesem Konzept selbstbe­wusst einen komplett eigenständigen Weg geht, zielstrebig, mit vollem Risiko und den Blick mutig nach vorne gerich­tet.