Marc Copland Trio | 08.02.2020

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Das Beste kommt zum Schluss, und es klingt wie eine wohlbekannte Melodie aus weiter Ferne, die sich hinter zehn dicken Wänden enthebt. Es ist ein Suchen, ein Trudeln im Sog einzelner Töne, die jeder schon einmal irgendwo gehört hat, aber auf Anhieb nicht genau zu verorten weiß. Ein Bündel scheinbar falscher Noten just in dem Moment irgendwie genau am richtigen Platz. So, als würden sie wackeln, taumeln, vom C zum B und dann wieder zum Dis verrutschen.

Ganz langsam ordnet sich das geplante Chaos wie ein organischer Selbstgesundungsprozess, fügt sich das auf dem Bösendorfer-Flügel scheinbar wahllos zusammengebastelte Konglomerat zu einem der schönsten Themen des Pop zusammen: Marc Copland und sein Trio kredenzen ihre Lesart des Beatles-Klassikers „And I Love Her“. Ein Puzzle aus abstrakten Pinselstrichen, das auf wundersame Weise eine anrührende Melodie ergibt, die einem in ihrer ganzen Schlicht- und Schönheit einfach den Atem raubt und allein das Kommen an diesem Abend wert gewesen wäre. Verfremdet und doch so vertraut!

Copland, das Chamäleon des modernen Jazz, war seit 1993 schon unzählige Male in Neuburg zu Gast. Gerade seine Fans im Birdland-Jazzclub konnten anhand jedes der Konzerte die Metamorphose des freundlichen Amerikaners mit dem feinen, kultivierten Humor und der Ausnahmebegabung an den 88 Elfenbeintasten hautnah mitverfolgen, seinen Aufstieg vom ehemaligen Saxofonisten zum Geheimtipp, vom angesehenen Pianisten zum gereiften, aus dem Rahmen fallenden Weltstar. Bei jedem Copland-Konzert durfte das Publikum im Hofapothekenkeller davon ausgehen, dass es wieder eine andere Facette dieses grandiosen Musiker serviert bekam. Selbst bekannte Stücke spielt der 71-Jährige immer anders, weil er nichts so sehr verabscheut, wie die Selbstkopie.

Aus diesem Grund wirkt das aktuelle Konzept, das Copland und seine kongenialen Mitstreiter Drew Gress (Kontrabass) und Jeff Williams (Schlagzeug) in der intimen, stillen Atmosphäre des fast ausverkauften Gewölbes ausbreiten, charmant. Wählte der Amerikaner früher meist dunkle, introspektive Eigenkompositionen, so beschäftigt er sich heute überwiegend mit Standards oder anderen bekannten Weisen. Aber wie bei seinem Kollegen Keith Jarrett entsteht aus dem scheinbar in Stein gemeißelten hier immer etwas Unbekanntes, Überraschendes. „Love Letter“, seine Hommage an den verstorbenen Freund und jahrzehntelangen Partner John Abercrombie, mit dem er selbst mehrere Male in Neuburg gastierte, verfeinert er zu einer fragilen, hauchzarten Ballade, einem klingenden Gedicht, schlendernd, nachdenklich, ein wenig traurig, aber schlussendlich voller Hoffnung, vor allem, wenn Drew Gress Basslinien wie feinen Sand in den Hofapothekenkeller rieseln lässt.

Neu ist auch Marc Coplands Hang zum kräftig pulsierenden, aber nie plump fußwippenden Swing, der in manchen Passagen fast wie ein mitternächtliches Jam-Intermezzo in einem New Yorker Jazzclub Anfang der 1960er Jahre anmutet. Auch ein Verdienst von Ersatz-Drummer Jeff Williams, der für den erkrankten Joey Baron eingesprungen war, aber so sicher und kommunikativ agierte, als wäre er seit langem fester Bestandteil des Trios. Wenn Copland Themen aus dem „Great American Songbook“ wie „Darn That Dream“ anstimmt, dann wirken diese im Gegensatz zu früher geradezu extrovertiert und nicht mehr wie ein versiegeltes Bergwerk voller Emotionen. Fast hat es den Anschein, als sei der ewige hadernde, introvertierte Grübler im gesetzten Alter endlich mit sich im Reinen, glücklich über seinen aktuellen Status, was jeder vor allem bei seiner Wahnsinnsinterpretation vom Herbie Hancocks „Cantaloup Island“ nachhören kann. Wie er, Gress und Williams das vibrierende, züngelnde Thema, das Jüngere nur mehr in der US3-Version „Cantaloop“ kennen, diesen berühmten Groove trotz einer Reihe verschobener Takte, abgewandelter Harmonien und durchbrochener Rhythmen als mächtigen, wellenförmigen Fluss unter dem Thema durchlaufen lassen, das ist schlicht grandios. Nur eine Facette eines Abends mit fünf Sternen, der am Schluss nach minutenlangen Ovationen die Qualität eines Geschenks für seine treue Anhängerschar in Neuburg erlangt hat.