50 Jahre Birdland Jazz Club Neuburg
Artikel von Reinhard Köchl,
erschienen am 9. Juli 2008 in den „Nürnberger Nachrichten“
Streng genommen dürfte es eine Einrichtung wie den Birdland-Jazzclub in Neuburg an der Donau überhaupt nicht mehr geben. Er passt genauso wenig in die schrille, bunte Gegenwartskultur wie das Nürnberger Jazzstudio. Ein Anachronismus aus einer Zeit, als es noch keinen Pop, keinen Hiphop oder das Internet gab, und wie alle anderen Künste am äußersten Rand der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar ein finanzielles Fass ohne Boden. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, wenn das oberbayerische Birdland in diesem Jahr sein 50. Jubiläum begeht. Nicht etwa im Stillen, sondern vielmehr laut und selbstbewusst mit einem viertägigen Open Air. Zwischen dem 10. und 13. Juli strömen die Jazzfans in Massen in den malerischen Innenhof des Neuburger Schlosses, um zusammen mit Weltstars wie Curtis Stigers, Ron Carter, Till Brönner oder Paul Kuhn das in der Tat außergewöhnliche Jubiläum zu feiern.
Ein halbes Jahrhundert Kampf wider den Trend: Wie so etwas funktionieren kann? Mit dem oft zitierten Idealismus, einer Portion Glück, Ausdauer und den richtigen Personen an der richtigen Stelle. Was in Nürnberg über Jahrzehnte hinweg in den bewährten Händen von Walter Schätzlein lag, bewältigt knapp 100 Kilometer weiter südlich Manfred Rehm. Beides ehrenamtliche Enthusiasten, die zwei der ältesten noch existierenden Jazzclubs aufbauten. Neben dem Jazzstudio (Gründungsjahr 1954) und dem Birdland, das nach seinem großen Vorbild, der „Jazz corner of the world“ in Manhattans 52. Straße benannt ist, gibt es lediglich noch das legendäre Village Vanguard in New York, das seit sechs Jahrzehnten Live-Jazz bietet. Dabei dreht Manfred Rehm keineswegs permanent am Rad der Zeit. In seinem Keller in der Neuburger Altstadt offeriert er mit rund 60 Konzerten pro Jahr einen ebenso vielfältigen wie repräsentativen Querschnitt des Jazz im 21. Jahrhundert, dessen swingende Attitüde aus den Gründerjahren allenfalls eine von mehreren Facetten neben zeitgemäßer Worldmusic, Blues, Rockjazz, Funk oder Avantgarde darstellt. „Wir versuchen, alle Entwicklungen dieser Musikrichtung darzustellen“, skizziert Rehm die Strategie. „Wobei wir nicht jeder Mode hinterher rennen.“ Der Birdland-Stil, diese ganz spezielle Mischung aus Stil, Konstanz, Entdeckergeist und einem nahezu konkurrenzlosen Ambiente, hat den Club mittlerweile zu einer der ersten Adressen für Musiker und Fans werden lassen. Vor allem ein Verdienst des Neuburger Jazzclub-Chefs, den sie längst respektvoll „Impresario“ nennen.
Schon als 17-Jähriger gehörte Rehm zu den Gründungsmitgliedern, organisierte gemeinsame Plattenabende und erste Konzerte, bis der Club in den 1960er Jahren vorübergehend in einen Dämmerschlaf fiel. Weil es den damaligen Vorsitzenden Helmut Viertel beruflich nach Burghausen verschlug (wo er später gemeinsam mit Joe Viera die Burghausener Jazztage ins Leben rief), und der Zeitgeist andere Dinge in den Vordergrund rückte, erlosch das Interesse an Jazz in der 20 000 Einwohner-Kleinstadt allmählich. Nur Rehm blieb bei der Stange, reanimierte den Verein 1985 und stieß nur sechs Jahre später bei der Restaurierung der Hofapotheke aus dem 18. Jahrhundert auf ein verschüttetes Gewölbe, „eine der schönsten Räumlichkeiten, in denen der Jazz weltweit gedeiht,“ wie es der amerikanische Gitarrist John Scofield nach seinem ersten Besuch in Neuburg enthusiastisch formulierte. Er und viele andere Weltklassemusiker wie Diana Krall, Brad Mehldau, Bennie Wallace, Enrico Rava, Abbey Lincoln oder Charles Lloyd nennen das Birdland einen der wichtigsten Live-Orte der europäischen Jazzszene. Der Club produziert eigene CDs, gestaltet für den im benachbarten Ingolstadt angesiedelten Automobilkonzern Audi seit 2001 regelmäßige Jazzkonzerte und kann sich seit über einem Jahrzehnt nahezu frei von jedweden finanziellen Sorgen durchs Jahr bewegen.
Ein geradezu paradiesischer Zustand für Kulturarbeiter, jedoch kaum auf andere Institutionen übertragbar. Denn das Erfolgsrezept des Birdland ist der „Faktor Rehm“. Nominell zwar ein eingetragener Verein, läuft der Neuburger Jazzclub in Wirklichkeit doch als Ein-Mann-Betrieb. Rehm macht Programm, verhandelt mir Agenturen, organisiert den Aufenthalt der Musiker, kümmert sich um die Presse und sogar um das Verteilen der Infohefte. Mit Beharrlichkeit gelang es ihm, einen soliden Sponsorenkreis aus öffentlichen und privaten Geldgebern für seine Idee zu begeistern. „Die Mühe lohnt sich, wenn man jede Woche tolle Konzerte erleben kann und sich langsam der Erfolg einstellt“, sagt er bescheiden. Mit ihm, und das wissen mittlerweile alle, präsentiert sich der Jazz in Neuburg gesund und munter. Trotz seiner mittlerweile 50 Jahre.