Donaukurier | Karl Leitner
Libor Šmoldas gilt als führender Jazzgitarrist Tschechiens, unterhält seit über einem Jahrzehnt mit dem Kontrabassisten Jay Anderson und dem Schlagzeuger Adam Nussbaum sein NY Trio, mit dem er mittlerweile drei Alben veröffentlicht hat und in unregelmäßigen Zeitabständen immer wieder auftritt. So wie im Birdland Jazzclub in Neuburg. Grund für seine Tournee sind „Dusk“, das aktuelle Album des Trios, und dessen Stücke, die sich auf recht originelle Weise mit den verschiedenen tageszeitlich bedingten Stimmungen zwischen dem frühen Morgen und dem späten Abend beschäftigen.
Überraschenderweise spielt Šmoldas daraus aber nur zwei Exzerpte und geht über lange Strecken des Abends lieber den Weg der Risikovermeidung, indem er Standards interpretiert, oft und gerne verwendete, zigmal gehörte und dem Publikum hinlänglich bekannte Stücke, auf die sich alle Jazzer ohne große Diskus-sionen sofort verständigen können. Die anderen freilich sind die interessanteren. Šmoldas‘ „Grasshopper“ oder das für seinen Sohn geschriebene „For Robin“, der – dem Stück nach zu urteilen – ein recht aufgewecktes Kerlchen sein dürfte. Nachdem Nussbaum’s – der an diesem Abend im Birdland seinen 70. Geburtstag feiert – wunderschöner Blues mit dem Titel „Sure Would Baby“ verklungen ist, war’s das aber auch schon mit den Neuigkeiten des Tages für dieses Mal, denn der Rest besteht aus „Moon River“, „Long Ago And Far Away“, „Darn That Dream,“ „Stella by Starlight“ und ähnlichen Dauerbrennern, dessen Themen man sofort erkennt, wenn Šmoldas sie anspielt.
Nun gut, dann eben Standards, denkt man. Die klingen natürlich auch nach oftmaligem Gebrauch immer noch gut, sobald drei so erfahrene und versierte Musiker wie die des NY Trios sich ihrer annehmen. Šmoldas‘ sanfte, mühelose und melodische Herangehensweise tut gut und mit ihren Interpretationen holt die Band durchaus einiges aus den Vorlagen heraus. Auch wenn man nicht wirklich neue Erkenntnisse aus ihnen gewinnen kann, überzeugen die Versionen, die zwar entspannt sind, aber nie Gefahr laufen, langweilig zu werden, weil die Band auf eine abwechslungsreiche Struktur Wert legt und einen untrüglichen Sinn für dynamische Prozesse offenbart. Und dass darüber hinaus alles, was die drei Musiker – unabhängig von der Setlist – in handwerklicher Hinsicht auf die Bühne bringen, erstklassig sein würde, hatte man sich auch vor dem Konzert schon ausmalen können.
Am Ende des Abends stehen drei Zugaben. Vielleicht als Reaktion darauf, dass die Band und ihre Musik ganz einfach eine positive, angenehme Atmosphäre in das Birdland-Gewölbe zauberten, vielleicht deswegen, weil auf Nummer sicher gehen mitunter doch eher goutiert wird als Risikobereitschaft, vielleicht aber auch, weil Nussbaum’s Späße und gute Laune ihre Wirkung nicht verfehlen. Dennoch beschleicht einen nach dem Konzert das Gefühl, dass Šmoldas und seine Kollegen die Chance verpasst haben, ihre eigene Visitenkarte abzugeben mit mehr Stücken aus der eigenen Kreativwerkstatt. Standards interpretieren? Das machen andere auch, ob aus einer Notwendigkeit oder einer Verlegenheit heraus, sei dahin gestellt. Beim NY Trio kam die Entscheidung für diese Strategie relativ überraschend. Noch dazu, weil doch die Band über eigenes und noch dazu wirklich gutes Material verfügt.
Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
Eine auch in der sehr weiten Welt des Jazz seltene Besetzung mit Gitarre, Bass und Schlagzeug. Kein Piano, kein Saxofon, keine Klarinette, Posaune oder Trompete – also ohne soundstarke Melodie- und Harmonieinstrumente. Und im Programm eine Einordnung unter dem Begriff „modern“, der auch abgedrehte und nicht sofort zugängliche Klangwelten erwarten lässt.
Vielleicht war der Birdland-Keller bei diesem Konzert des Libor Smoldas NX Trios einmal nicht so gut gefüllt wie sonst üblich. Libor Šmoldas (Gitarre), Jay Anderson (Bass) und Adam Nussbaum (Schlagzeug) brachten aber nach kurzer Anlaufzeit eine Stimmung in die Bude, als ob dieser bundesweit renommierte Jazzclub bis auf den letzten Stehplatz belegt wäre.
Das lag an mehreren Faktoren. Der technisch wie musikalisch teuflisch gute Gitarrist ließ vergessen, dass der Glanz des Bösendorfer-Flügels oder einer Saxofon-Combo diesmal Pause machten. Der Virtuose am Kontrabass brachte weit mehr als ein stabiles Grundgerüst ins Gesamtbild ein. Jay Anderson zelebrierte weit ausgreifende Tonkaskaden in kluger Phrasierung und verblüffte mit improvisatorischen Volten. Und Adam Nussbaum am Schlagzeug mischte alles mit Knalleffekten und manch schelmischem Gag auf.
Das Trio zeigt dabei einen Hang zum musikalischen Überschwang, im Falle des Schlagzeugers auch zum Übermut. Der Gitarrist legt sich bei „Moon River“ oder auch bei der Eigenkomposition „Grasshoppers“ auf fast romantische Manier ins Zeug, er macht aus kleinen Melodien ein sehr süße musikalische Verführung. Gelegentlich scheint Smoldas es zu genießen, die Grenzregionen zwischen inniger Empfindung und Edelschnulze auszutesten. Das gilt vor allem für die Anleihen bei der Country-Musik im zweiten Set.
Auf eine ganz andere Art lebt der Mann am Schlagzeug seine Vitalität aus. Adam Nussbaum ist ein musikalischer Gaudibursch, ein übermütiger Schelm. Seine Knaller auf Trommel und Becken lassen manchen kurz zusammenzucken, fast wirken sie wie Weckrufe. Nötig sind sie nicht, denn bei der süffigen, sehr gefälligen Musik droht niemand auf der Bühne oder im Publikum abzuschlaffen. „Modern“ im Sinn von schwierig oder spröde ist da nichts.
Bei seinen Soli erlaubt Nussbaum sich den Spaß, die anderen manchmal zu foppen – er deutet musikalisch an, das das Solo zu Ende geht, biegt aber wieder ab, als Gitarrist und Bassist gerade schon einsetzten wollen. Eskapaden dieser Art schenkt sich der Bassist Jay Anderson.
Vielleicht war der Schlagzeuger auch etwas aufgedreht, weil er Geburtstag feierte. Das Trio-Ständchen „Happy Birthday“ wurde vom Publikum kräftig mitgesungen. Nach dem Gesang wäre Gelegenheit gewesen, dieses alte Stück mit der puren Lust des Improvisierens in eine andere Ebene zu heben, gerne mit Mut, Übermut und Überschwang. Schade, dass das Publikum nicht in diesen Genuss kam.
Donaukurier | Karl Leitner
Eine Herausforderung für das Mainstream-Ohr einer-, ein ideales Betätigungsfeld für die Gruppe all jener andererseits, die ständig auf der Suche sind nach ihnen bislang noch nicht untergekommenen musikalischen Formen, neuen Eindrücken und Hörerfahrungen. Wer zu ihr gehört, kommt um die Namen des Vibrafonisten Christopher Dell, des Schlagzeugers Christian Lillinger und des Kontrabassisten Jonas Westergaard nur schwerlich herum. Nach diversen Gastspielen im Birdland mit Kollegen und in unterschiedlichen Besetzungen stehen sie diesmal als – verstärkt durch Bob Degen am Flügel – in der vom Trio zum Quartett erweiterten Band namens „Supermodern“ auf der Bühne.
Wenn die drei auf einer Konzertbühne auftauchen, hat man es als Zuhörer nicht selten mit weitgehend avantgardistischer Musik zu tun. Aktuell setzen sie sich auf ihre ureigenste Weise mit dem Nachlass des legendären Modern Jazz Quartet auseinander, das selber einst im Birdland gastierte, mit dem „Third Stream“, mit der Verbindung von amerikanischem Cool Jazz und und europäisch geprägter Kammermusik, mit der Auflösung der im letzten Jahrhundert üblichen Kategorien U- und E-Musik. Bei Supermodern dient oft ein einzelner Takt als Ausgangspunkt. Er wird in diversen rhythmischen Varianten und Verschachtelungen mantraartig wiederholt. Die Stellen, an denen sich die Reproduktionen überlagern, werden bearbeitet. In manchen Phasen des Konzerts kann man diesem Konzept, an dem das gesamte Kollektiv beteiligt ist, recht gut folgen, etwa wenn das Piano die Vorgaben des Vibrafons wie eine Echowand zurückwirft und der Augenblick der Verzögerung genau die Stelle ist, die das Quartett herausfordert und zum kreativen Handeln zwingt.
Es ist offensichtlich, dass hinter einem Konzept wie diesem jede Menge Kopfarbeit und Intellekt steckt und man nicht unbedingt Musik erwarten kann, die für die Nebenbei-Rezeption entwickelt wurde. Dennoch entsteht mit den Stücken, die oftmals nur mit Arbeitstiteln wie „Skizze 01“ oder „Turn X“ versehen und suitenartig zu Blöcken zusammengezogen werden, hochenergetische Spannungsfelder, die sich kaskadenartig entladen und zusammen mit der Virtuosität der Beteiligten – bei Dell und Lillinger zeigt sich jene ganz besonders – und der ständigen Kommunikationsbereitschaft innerhalb des Quartetts, eine Musik, die auch wegen ihrer Körperlichkeit beeindruckt. Cluster, Soundscapes und flächige Klänge stehen heftigen Eruptionen gegenüber, gehen auseinander hervor, bedingen und befruchten sich gegenseitig. Wer als Zuhörer bereit ist, sich in dieses Spannungsfeld hineinziehen zu lassen, dem könnten sich durchaus neue Welten erschließen.
Dass das Konzept aufgeht, zeigt sich am Ende daran, dass das Auditorium nach zwei Zugaben verlangt, was man angesichts der Komplexität des Gebotenen ja nicht automatisch voraussetzen darf. Und es beweist einmal mehr den enormen Unterschied zwischen der Konserve, die es unter der Bezeichnung „Supermodern II“ auch gibt, und der Live-Situation. Die Musiker nicht nur zu hören, sondern bei ihrem Tun auch noch aus nächster Nähe zu beobachten in einem Club von internationaler Bedeutung, den man als Bewohner der Region auch noch quasi direkt vor der Nase hat, bereitet doppeltes Vergnügen. Wer hier noch zögert, dem ist nicht zu helfen.
Donaukurier | Karl Leitner
Man hätte es ja fast schon ahnen können. Nach 2013, 2015, 2017, 2019, 2021 und 2023 hat sich der Neuburger Birdland-Jazzclub wieder um den „Applaus“, den Spielstättenpreis der vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien beworben. Und die Auszeichnung auch prompt erhalten. Und so fuhr Birdland-Chef Manfred Rehm dieser Tage nach München, um die Auszeichnung entgegen nehmen. Nach Bernd Neumann, Monika Grütters und Claudia Roth in den vergangenen Jahren wurde er ihm diesmal von Staatsminister Wolfram Weimer überreicht.
Seit 2013 hat sich einiges geändert. „Damals wurden die Häufigkeit und die Regelmäßigkeit von Konzertveranstaltungen besonders gewürdigt“, sagt Rehm, „heute geht es um die Qualität der Livemusikprogramme des Vorjahres, also um das, was wir 2024 gemacht haben.“ Der Preis, umfasst insgesamt rund zwei Millionen Euro, wird in verschiedenen Kategorien verliehen und dient der finanziellen Stärkung von kleineren und mittleren Livemusikclubs, die oftmals mit hohem finanziellem Risiko ein kulturell herausragendes Programm anbieten, soll die soziale Bedeutung von Livemusikspielstätten unterstreichen und Aufmerksamkeit erregen für die strukturellen Herausforderungen und Belange der Spielstätten in den Kommunen und Regionen. Für das Birdland bedeutet das eine Zuwendung von insgesamt 40.000 Euro, die Rehm ganz gezielt einsetzen will. „Das Geld wird zum Großteil in die Gagen für junge Musiker laufen“, sagt er. „Wir haben junge Musiker ja schon immer gefördert. Das machen wir nun verstärkt, indem wir ihnen die gleichen Gagen anbieten wie den international renommierten Bands und Künstlern, die regelmäßig bei uns zu Gast sind. Erstens, damit sie davon ihr Leben finanzieren und zweitens, um sie auf eine Stufe zu Stellen mit Künstlern, die schon lange im Geschäft sind.“
Direkt wird sich das Preisgeld aber erst zeitversetzt auswirken, weil „wir die Planungen und die Kalkulation für 2026 zum überwiegenden Teil schon zu einem Zeitpunkt abgeschlossen haben, als wir noch gar nicht wussten, dass wir diese Zuwendung bekommen würden.“ Ein finanzielles Polster zu haben, tut immer gut. „Hotel- und Restaurantkosten, Reise- und Transportkosten – alles ist wesentlich teurer geworden in letzter Zeit“, erzählt er. „Aber nur weil alles teurer, unzuverlässiger und komplizierter wird, würden wir keineswegs auf die Idee kommen, in Zukunft weniger Veranstaltungen anzubieten oder Abstriche an der Qualität zu machen. Nein, an Häufigkeit und Form der Konzerte, mit denen wir seit Jahrzehnten gute Erfahrungen gemacht haben, werden wir auf keinen Fall etwas ändern.“ – Womit das Preisgeld bestens angelegt und das Birdland solide aufgestellt ist. Gute Nachrichten in Zeiten der kulturellen Abwärtsspirale.
und „radioJazznacht extra“: Fernanda von Sachsen Quartett | 22.11.2025
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Na, wieder mal die vierstündige Livesendung des Bayerischen Rundfunks verpasst, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag faszinierende Impressionen des Birdland Radio Jazz-Festivals nach außen trug und damit beste unbezahlte Werbung für Neuburg machte? Wäre nicht das erste Mal. Während der restliche Freistaat nämlich über das, was jedes Jahr Ende November aus dem Keller der Hofapotheke dringt, regelmäßig ins Schwärmen gerät, hält sich die Resonanz in der „Kulturstadt“ fast schon traditionell in überschaubaren Grenzen. „Das Birdland ist wirklich etwas ganz Besonderes“, preist deshalb auch BR-Redakteur Roland Spiegel, mit seinem Kollegen Uli Habersetzer im ersten Stock der Hofapotheke sitzend, während der „Jazznacht“ auf BR Klassik und Bayern 2 zwischen 22 abends und zwei Uhr morgens die Einzigartigkeit des Clubs gebetsmühlenartig wie der Rufer in der Wüste.
Für Spiegel ist die 15. Auflage des Festivals, das er zusammen mit Birdland-Chef Manfred Rehm 2011 ins Leben rief, gleichzeitig sein Abschied in den Ruhestand. Deshalb hat sich Rehm auch nicht lumpen lassen, dem BR-Redakteur bei seinen letzten Neuburg-Gastspiel ein besonderes Geschenkpaket in Form eines exquisiten, hochkarätigen Programms mit acht Konzerten – fünf davon mit Frauen als Bandleaderinnen – zu schnüren. „Da kann man nur den Hut ziehen“, freut sich Spiegel, „Es ist überaus geschmackssicher zusammengestellt und geprägt von einer nicht versiegenden Abenteuerlust. Typisch für einen Programmgestalter, der ein guter Zuhörer ist.“ Nicht umsonst hat der „Impresario“ drei Tage vor dem großen Finale „seines“ Festivals, das trotz der ARD Programmreform auch in Zukunft bundesweit ausgestrahlt werden soll, erneut den „Applaus“-Award für das „Beste Livemusikprogramm“ in Deutschland erhalten (wir berichteten).
Und so beginnt der Schlussakkord auch mit geballter Frauenpower, nämlich der koreanischen Pianistin Gee Hye Lee und ihrer Freundin, der Nürnberger Schlagzeugerin Mareike Wiering, die mit ihrem famosen Quintett bereits im Januar im Birdland zu Gast waren. Herausragend dabei einmal mehr der deutsche Wundertrompeter Jakob Bänsch, der in der kurzen Zeit offenbar noch einen Schritt nach vorne gemacht zu haben scheint. Immer noch 22 Jahre ist der Bursche jung und klingt doch schon so reif und wandlungsfähig, als hätte er mehrere Karriere-Jahrzehnte auf dem Buckel.
Diese Farbenpracht gelingt ihm vor allem dank der emotionalen, bewegenden und faszinierenden Kompositionen der Bandleaderin, die in ein Fest aus pulsierenden Rhythmen und dramatischen Endungen münden, und wunderschönen harmonischen Klanglandschaften, die Sonnenuntergänge sowie einen weiten Horizont evozieren können. Großes Kino, lang anhaltender Applaus!
Tags darauf fallen die Reaktionen bei dem Gastspiel des hochdekorierten norwegischen Gitarrenzauberers Lage Lund eher verhaltener aus. Die Dramaturgie seiner Performance, die er mit Weltklasse-Kollegen wie dem Bassisten Orlando LeFleming, dem Mehldau-Drummer Jeff Ballard und dem Kölner Pianisten Pablo Held kredenzt, könnte man als „linear“ bezeichnen.
Die Musik wirkt wie ein Netz aus spinnwebartigen Konstruktionen, die sich nur schwer aus den Ecken fegen lassen. Auch wenn Lund fein gedrechselte Linien voller innerem Kunstsinn aus seiner Halbakustischen zaubert, so ist das Konzert doch ein Paradebeispiel für die Art von künstlicher Intellektualität und Distanz, die dem Jazz bei der öffentlichen Anerkennung häufig im Weg steht. Das beste Beispiel dafür ist ein Stück, das ausgerechnet einen deutschen Titel trägt: „Langsam“ – nomen est omen.
Und dann gibt es sie doch noch, die kleinen Wunder. Am Samstagabend kurz vor Mitternacht war dies wieder mal der Fall. Aus den tiefsten Tiefen der Hofapotheken-Katakomben erhob sich völlig unverhofft ein Stern und strahlte hell leuchtend über ganz Bayern. Der Name des Himmelskörpers ist Fernanda von Sachsen und dürfte nun vor allem deshalb bei vielen Menschen bekannt sein, weil der zweite Teil ihres fulminanten Konzertes live aus dem proppenvollen, restlos begeisterten Jazzkeller übertragen wurde. Die blutjunge Sängerin aus München und ihre grandiose Band agieren wie aus einem Guss und bieten ein Kaleidoskop des alten und des neuen Jazz, das einen schier fassungslos zurücklässt.
Fernanda von Sachsen erzählt voller Inbrunst und erstaunlich intonationssicher Geschichten, sie fühlt dabei jedes Wort und schickt ihr Stimme wie ein vokales Chamäleon durch alle Atmosphären, vom hauchzarten Balladenflüstern bis zu spitzen Avantgarde-Schreien, vom rasanten Bebop-Scat bis zur jiddischen Hochzeitstanz-Rufen. Der perfekte Rausschmeißer für ein mehr als einzigartiges Festival!
Donaukurier | Karl Leitner
Draußen vor dem Birdland Jazzclub stehen zwei LKW des Bayerischen Rundfunks. Die Crew des ersten zeichnet auf, was im Keller unter der ehemaligen Hofapotheke und in dem darüber eingerichteten Studio geschieht, die des zweiten schickt es per Satellit via BR-Klassik und Bayern 2 vier Stunden lang rund um den Globus. Mehr Aufsehen und mehr Publikum – man kann durchaus von zigtausend Menschen ausgehen – kann sich ein kleiner Club, in den gerade mal knapp 100 Leute passen, nicht wünschen. Das Birdland Radio Jazz Festival macht es möglich. Seit mittlerweile15 Jahren.
Nach sieben Konzerten in den vergangenen Wochen endet es mit einem echten Paukenschlag. Traditionsgemäß ist der letzte Konzerttermin einer jungen, aufstrebenden Band vorbehalten, dessen erstes Set mitgeschnitten wird, während das zweite komplett und live über den Äther geht. Das ist auch diesmal so, nur hätte vermutlich niemand gedacht, welch großartigen Eindruck das Fernanda von Sachsen-Quartett aus München dabei hinterlassen würde. Im Zentrum stehen auf völlig unorthodoxe Weise interpretierte Standards und Eigenkompositionen einer Frontfrau, der stilistische Belange dermaßen egal sind, dass man quasi fast mit allem rechnen muss und darf. Sie flüstert und rappt, ist Chanteuse und Sirene, setzt Sprechgesang ein, benutzt ihre Stimme als zusätzliches Instrument mit eigener Klangfarbe, verrührt all das zusammen mit einem Kunstlied Robert Schumanns, jüdischen Klagegesängen und Elementen des Pop auf geradezu hinreißende Weise zu einer Art Jazz-Hörspiel und verpasst dem Konzept mit dezent eingesetzten Geräuschen wie dem Rauschen eines Ultraschallgeräts oder eines tropfenden Wasserhahns noch den letzten Schliff.
Wobei Schliff nicht Glätte bedeutet. Nichts ist hier glatt, im Gegenteil, Sängerin und Band gehen mit purer Lust ans Werk, die auch sofort aufs begeisterte Publikum überspringt, mit Unbekümmertheit und mit ganz viel Können. Wie weit von Sachsen, deren Stil von den Traditionen des Vokal-Jazz ebenso geprägt ist wie von ihrer klassischen Ausbildung, Pianist Pablo Struff, Sebastian Claas am Kontrabass und Schlagzeuger Jonas Sorgenfrei in ihren musikalischen Werdegang als Band bereits fortgeschritten sind, obwohl sie noch nicht mal eine eigene CD vorweisen können, belegen ihre eigenen Stücke, von denen man hoffentlich möglichst viele auf dem geplanten Tonträger wiederfinden wird. Melodien voller Poesie, ausdrucksstarke Harmonik und markante Rhythmen sind deren Markenzeichen und Songs wie „Outside Land“ oder „Would You Say The Same If I Were A Man“ sind echte Volltreffer.
Die Band nutzt die Gunst der Stunde, legt einen überragenden Auftritt hin, und freut sich sichtlich auch selbst über den gelungenen Coup. Sie ist eindeutig die große Überraschung des Festivals, das doch so prall gefüllt war mit guter Musik verschiedenster Couleur, eines Festivals, das exemplarisch und in komprimierter Form die vielfältigen Spielformen des Jazz aufzeigte, eines Festivals, das nicht nur sich selbst, die Musiker und den Birdland Jazzclub per Radio weltweit bekannt macht, sondern auch die Stadt Neuburg. Als immens effektiver Werbeträger nämlich, der die Kommune keinen Cent extra kostet. Die Künstler für das nächste Jahr sollen, wie man hört, bereits größtenteils gebucht sein.
Donaukurier | Karl Leitner
Der norwegische Meistergitarrist Lage Lund war schon mal im Birdland Jazzclub in Neuburg. 2008 und 2013 war das, als Sideman in den Bands anderer. Jetzt ist er als Chef seines eigenen Quartetts vor Ort, zusammen mit dem Kontrabassisten Orlando deFleming, dem Schlagzeuger Jeff Ballard und Pablo Held, der kurzfristig für den erkrankten Danny Grissett am Flügel sitzt. Im Gepäck hat er ausschließlich Eigenkompositionen aus den letzten Jahren, mit denen es aber eine besondere Bewandtnis hat.
Er liebe es zu komponieren, sagt Lund gleich zu Beginn, aber er hasse es, seinen Stücken einen Namen zu geben, weshalb er immer ganz abscheuliche erfinde. „Wenn die Leute hören, dass ich beabsichtige, ein Stück mit dem Titel ,Octoberry‘ zu spielen oder eines, das ,Boogie‘ heißt, dann schrauben sie ihre Erwartungen automatisch zurück.“ Er freue sich aber durchaus, wenn es nachher heißt: „Ach, so grottenschlecht war das ja gar nicht. Ich hatte Schlimmeres erwartet.“ – Die Vokabel „schlecht“ freilich existiert schlicht nicht, wenn man sich mit Lund beschäftigt, auch an diesem Abend nicht, denn die Band geht mit Eleganz und Gefühl zu Werke, Lund zeigt ein ums andere Mal als Solist, woher er seinen exzellenten Ruf hat, kehrt in seinem Spiel sein Innerstes nach außen und leitet seine Combo mit Umsicht und Fürsorge. Pablo Held steuert einige wunderschöne Soli bei und mit dem Gespann deFleming/Ballard scheint Lund seine Idealbesetzung mit nach Neuburg gebracht zu haben.
Die Stücke gehören zwei verschiedenen Kategorien an. Da sind zum einen die wogenden, verspielten, die wie entrückt zu schweben scheinen. Es ist, als müssten sie sich erst aus einem Nebel herausschälen, die Konturen werden erst allmählich sichtbar, treten erst mit der Zeit deutlich hervor. Nicht umsonst heißt eines von ihnen – was diesmal durchaus aussagekräftig ist – „Langsam“. Je mehr es dabei freilich ins Meditative geht, desto mehr Längen werden hörbar. In diesen Phasen schraubt Lund Parameter wie Dynamik oder Tonstärke dermaßen weit herunter, dass man sich trotz all der Schönheit gekonnter Filigranarbeit fast ein wenig nach mehr Elan sehnt. Der stellt sich mit der zweiten Gruppe von Kompositionen ein. Mitte des ersten Sets beginnt deren große Zeit mit dem lebhaft-vertrackten „Jimbo“, das Lund für seinen 2024 verstorbenen Kollegen, den Keyboarder Jim Beard, geschrieben hat, wird fortgesetzt mit dem flotten „Circus Island“ und erreicht seinen Gipfel mit dem melodisch und rhythmisch besonders anspruchsvollen „Cigarettes“, einer trotz des Titels (O-Ton Lund: „I know, it’s terrible. Sorry For That!“) exzellenten Kompositionen.
Lage Lund und sein Quartett bestreiten das siebte von acht Konzerten im Rahmen des Birdland Radio Jazz Festivals und fügen dem in dessen Rahmen gezeigten Querschnitt durch die Vielfalt des aktuellen Jazz wieder eine neue Komponente hinzu. Lund bezeichnet seine Musik als „Zeitgenössische skandinavische Exotik“, andere würden einfach nur „Moderner Gitarren-Jazz in all seinen Facetten“ sagen. Wichtig ist, dass möglichst viele Formen und Spielweisen ein Forum erhalten und ein Publikum finden, wie es während des Radio Festivals in komprimierter Form und im „Alltags-Programm“ des Birdland das restliche Jahr über der Fall ist. Nachzuhören ist das Konzert des Lage Lund Quartets am Freitag, 27. März 2026, ab 23 Uhr auf BR-Klassik.
Donaukurier | Karl Leitner
Die Dichte an Preisträgern ist außergewöhnlich an diesem Abend im Birdland Jazzclub in Neuburg, die Zusammensetzung der Band ist es ebenfalls und auch die Situation ist es, weil der Bayerische Rundfunk das Konzert für das Birdland Radio Festival mitschneidet, das damit auf die Zielgerade einbiegt. Die aus Seoul, Korea, stammende Ausnahme-Pianistin Gee Hye Lee hat ihr Trio mit Joel Locher am Kontrabass und Mareike Wiening am Schlagzeug mitgebracht und auch noch Alexander Kuhn am Tenorsaxofon und den Shooting Star Jakob Bänsch an der Trompete hinzu gebeten, um mit ihnen zusammen ihr aktuelles Album „Encounters“ vorzustellen.
Der Titel bedeutet – wie auch die ko-reanische Bezeichnung des Stückes „Mannam“ kurz nach der Pause – „Begegnungen“, und zwar solche freundschaftlicher, liebevoller Art, aus denen man Lebensfreude und Kraft gewinnen kann. Um die Schönheit zwischenmenschlicher Verbindungen voll emotionaler Nähe und langjährige Freundschaften geht es an diesem Abend, um positive Intensität und die Schönheit des Augenblicks, die in Musik ihren Ausdruck finden. Deshalb heißt der letzte Titel des regulären Programms auch „For Today“, den Lee nach eigener Auskunft ganz speziell wegen dieses einen Auftritts im Birdland geschrieben habe. „Aber das sage ich jeden Abend“, gibt sie unumwunden zu. Ja, diese Frau ist nicht nur eine exzellente Pianistin, sie hat auch Humor.
Die emotionale Tiefe, auf die es der Bandleaderin ankommt, spiegelt sich in ihren Kompositionen wider. Harmonien, in die man als Zuhörer mit wohligem Gefühl eintauchen kann, stehen lebhaften Melodien und Rhythmen voller Dynamik gegenüber, weite Spannungsbögen korrespondieren mit metrischen Kürzeln. Die Schönheit, die diese Musik ausstrahlt, ist durchaus mit mit Ecken und Kanten versehen, Wohlklang beinhaltet hier durch die Bank auch kompositorische Finesse und ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit. Lustvolles Schwelgen und konzentriertes Zuhören sind also gleichermaßen gefordert.
Jedes Stück hat eine eigene Geschichte. „A Journey Of Nonsense“ ist die Vertonung einer recht chaotischen Konzertreise durch die Türkei, in „Korea, Here I Come“ kommt die Vorfreude vor dem Besuch in der alten Heimat zum Ausdruck, „A Letter To Her“ ist ein Brief an die Mutter in Notenform und „Seoul My Soul“ sagt vom Titel her schon alles. Wie das Album ist das Konzert ein Aufruf, den Wert der persönlichen Begegnung zu würdigen, die damit verbundene Schönheit des Moments, die innere Verbundenheit, das Positive zu betonen, das es immer noch gibt, auch in Zeiten, in denen es anscheinend immer nur das Negative in die Schlagzeilen schafft. Gee Hye Lee’s Stücke vermitteln diese Haltung, in Töne verwandelt von durch die Bank erstklassigen Musikern, auf beeindruckende Weise. Weil die Kompositionen zwar Schönheit, nie aber Naivität ausstrahlen, in ihrer Konzeption die Realität also nicht negieren, gehen sie auch dermaßen in die Tiefe. Keiner im Auditorium hat es in der Hand, in großem Stil die Welt zu verbessern, aber er kann sich daran erfreuen, wenn in seinem persönlichen Umfeld das Positive überwiegt. Ist das geschafft, ist schon viel erreicht.
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Für Manfred Rehm ist es inzwischen fast schon eine liebgewordene Routine. Im zweijährigen Turnus wird er von der Bundesinitiative Musik mit dem „Applaus“-Award für seine unermüdliche Arbeit im und für den Birdland-Jazzclub Neuburg ausgezeichnet, dem er seit der Gründung 1958 angehört und dessen Vorsitz er von 1985 bis heute inne hat. Sieben Mal hatte sich der Mann, den sie respektvoll den „Impresario“ nennen, bislang für den „Applaus“ beworben, sieben Mal wurde er bereits von den jeweils amtierenden Kulturstaatsministerinnen und -ministern für das „Beste Livemusikprogramm“ prämiert – am vergangenen Montag erneut in der Münchner Muffathalle vom aktuellen Ressortchef Wolfram Weimer. Rehm darf sich deshalb wieder von allerhöchster Stelle ins Stammbuch schreiben lassen, dass er einen der besten und erfolgreichsten Jazzclubs in Deutschland führt und diesen fast im Alleingang aufgebaut hat – es ist quasi sein Lebenswerk.
40 000 Euro bekam der 84-Jährige von Weimer nach vorheriger Prüfung durch eine hochkarätige Fachjury überreicht, um sein vor allem nach der Corona-Pandemie herausragendes Programm in gewohnter Qualität aufrechtzuerhalten und weiter ausbauen zu können. In den Anfangsjahren hatte es für das Birdland 15 000 Euro gegeben. Vor allem die stetige Aufwertung seiner Arbeit freut Rehm ungemein. „Natürlich unterstützen wir damit wie in den Vorjahren wieder den Jazz-Nachwuchs“, erklärte er im Gespräch mit unserer Zeitung. „Aber in jüngerer Vergangenheit sind die reinen Fixkosten wie Energie, Wasser und Strom extrem nach oben geschnellt. Hinzu kommen noch die mittlerweile kaum mehr in den Griff zu bekommenden Belastungen durch die permanenten Verspätungen der Bahn. Erst kürzlich musste wir die Pianistin Lynne Arriale, die eigentlich mit dem Zug nach Neuburg kommen sollte, mit dem Auto abholen, weil die Strecke von Donauwörth her gesperrt ist.“ Deshalb, so Manfred Rehm, sei das Preisgeld ein willkommenes Fundament, damit der Club nicht ins Schlingern gerate. „Außerdem ist es mir ein Herzensanliegen, den Musikerinnen und Musiker in Zeiten, in denen sowieso alles teurer wird, weiterhin faire und angemessene Gagen zahlen zu können.“
2019 war Manfred Rehm als bislang einziger Kulturschaffender in Deutschland mit dem Sonderpreis für sein ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet worden. Indem er sich nur alle zwei Jahren für den jährlich ausgelobten Award bewirbt, will Rehm auch anderen Jazz-Veranstaltungsstätten in der Republik die Gelegenheit geben, vom 1,7 Millionen Euro umfassenden Fördertopf, der noch vor zwei Jahren 2,3 Millionen Euro schwer war, zu profitieren. Denn er weiß nur zu genau, dass viele Clubs nahezu pausenlos ums Überleben kämpfen – ein Zustand, der er in Neuburg auf jeden Fall vermeiden möchte. Der Impresario hält eine vitale Szene für unabdingbar, um das Nischengenre Jazz überhaupt im öffentlichen Blickfeld halten zu können. Dass er in Bayern zusammen mit der wesentlich größeren Münchner „Unterfahrt“ der einzige Jazzclub ist, der diesmal in der Kategorie „Bestes Livemusikprogramm“ ausgezeichnet wurde, sieht er mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Insgesamt erhielten 20 Einrichtungen deutschlandweit die höchste staatliche Förderung, wobei die allermeisten aus den Bereichen Pop, Punk und elektronische Clubsounds stammen. Bei den „Besten Livemusikspielstätten“ (20 000 Euro Preisgeld) waren es 22, bei den „Besten kleinen Spielstätten und Konzertreihen“ (10 000 Euro) 43. Insgesamt wurden in der Muffathalle 88 Auszeichnungen für Livemusikclubs und Konzertreihen aus Deutschland vergeben, unter anderem auch in den Bereichen Inklusion, Nachhaltigkeit und Awareness. „Musikclubs sind ein wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur unseres Landes und das kreative Rückgrat der deutschen Populärmusikkultur“ betonte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer in seiner Ansprache. „Auch deshalb sind wir eine Kulturnation: Wegen des beeindruckenden Reichtums kultureller Institutionen in der Fläche und der breiten Palette regionaler Exzellenz.“ Die zentrale Aufgabe von Kulturpolitik sei es deshalb, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Clubs wie das Neuburger Birdland auch in Zukunft ihre Türen öffnen könnten, so Weimer. Denn Kulturförderung müsse gerade in schwierigen Zeiten oberstes Ziel der gesamten Gesellschaft sein – ein Gedanke, mit dem der Minister bei Manfred Rehm offene Türen einrennt. „Gerade diese Auszeichnung ist Balsam für unser ganzes Team und auch für mich, denn bei uns läuft alles nach wie vor noch absolut ehrenamtlich.“
Donaukurier | Karl Leitner
Das derzeit laufende 15. Birdland Radio Jazz Festival zieht alle Register. Ein Hammer folgt auf den anderen. Diesmal ist die Combo der aus Vancouver, B.C., stammenden und in New York lebenden Pianistin Kris Davis zu Gast in Neuburg, ein Trio, das, wie Ulrich Habersetzer vom Bayerischen Rundfunk, der das gesamte Festival mitschneidet, in seiner Einführung betont, das „Piano Trio im Jazz gerade völlig neu definiert“.
Womit er, lässt man das Konzert nach dessen Ende noch einmal Revue passieren, durchaus recht haben könnte. Weil das Trio, zu dem auch Robert Hurst, Stammbassist in der Band von Wynton Marsalis, und Jonathan Blake, einer der weltweit besten und innovativsten Jazz-Drummer, gehören, zwei Welten des Jazz miteinander verknüpft wie sonst aktuell keine andere, die der größtmöglichen Freiheit mit der der absoluten Präzision. Als Kris Davis, in der viele die legitime Nachfolgerin der großen Geri Allen sehen, vor ziemlich genau zwei Jahren mit dem Borderlands Trio in Neuburg gastierte, ging es um Jazz-Avantgarde, langen, frei fließenden Themenblöcken, diesmal stehen fest umrissene Kompositionen auf der Setlist, innerhalb derer sich allerdings diverse Rhythmen permanent umtänzeln, kreuzen, sich ver- und wieder entwirren, stehen Melodien, die sich ähnlich verhalten, verwandeln sich harte Grooves plötzlich in weich fließende, weichen gerade noch fast überdeutlich hör- und spürbare Patterns von einem Augenblick zum nächsten in nur noch angedeutete. Spontane Abbrüche sind ebenso Teil dieses Konzerts, das im Grunde ein einziges großes Abenteuer ist, wie Phasen, in denen man meint, man säße mitten drin in einem dauer-aktiven Perpetuum Mobile.
Blake, Drummer der kurzen Wege bei höchster Effizienz und immenser Schlagzahl, spielt komplett aus dem Handgelenk heraus, der Stoiker Hurst sorgt für eine wie in Granit gemeißelte Basis, die durch nichts und niemand zu erschüttern ist, auch nicht durch Davis‘ Eskapaden, ihre quirligen Läufe, ihre geschickt gesetzten Pausen, ihre ständigen Akzentwechsel. Und so „stolpert“ die Band quasi hinein in dieses herausragende Konzert mit „Little Footprints“, das also ganz bewusst diesen Titel trägt, lässt sich bei „Lost In Geneva“ und bei „The Ballerina“ kollektiv zurückfallen, um dann mit „Run The Gauntlet“, was so viel wie „Spießrutenlaufen“ bedeutet und gleichzeitig ihr aktuelles Album „Diatom Ribbons“ eröffnet, einem ersten Höhepunkt zuzustreben. Dem noch etliche folgen, zum Beispiel eine kühne Version von „Papa-Daddy And Me“ aus der Feder des kürzlich verstorbenen Schlagzeugers Jack DeJohnette, der 2016 selbst noch im Birdland auftrat, damals als Solist am Flügel, oder einer kaum weniger waghalsigen Interpretation von Thelonious Monk’s „Evidence“.
Das Konzert des Kris Davis Trios dürfte zu denen gehören, die in die Annalen des Birdland Jazzclubs eingehen werden. Wegen der damit verbundenen musikalischen Außerordentlichkeit, wegen des richtungsweisenden Charakters, wegen der Sonderstellung, die es sogar angesichts dieses wahrlich heißen Jazz-Herbsts im Birdland – im Rahmen des Festivals wie auch im „Normal“-Programm – einnimmt. Wer Zeuge dieses denkwürdigen Abends war, kann sich wahrlich glücklich schätzen.

