„Ruins And Remains” | 31.05.2024
Wahrlich ein weites Feld, zu erleben auf dem überschaubaren Raum des Jazzkellers binnen einer Woche von einem Pol zum anderen. Hier der Hot Stuff mit seinen Ursprüngen im frühen 20. Jahrhundert, da die Grenzregion zur Neuen Musik, die Katastrophe der nämlichen Zeit erkundet von dem niederländischen Pianisten und Komponisten Wolfert Brederode gemeinsam mit seinem überaus sensitiven Bruder im Rhythmus, dem Perkussionisten und Drummer Joost Lijbaart, sowie dem Matangi Quartett.
»Ruins And Remains« hieß das überaus empfindsame Programm, das dem Birdland Jazzclub den in diesen Räumen eher seltenen Anblick eines veritablen klassischen Streichquartetts gewährte. Ernst ging es dabei zu, mit eher vagen Klängen, verhangenen Melodien, subtilen Andeutungen, impressionistisch anmutenden Klangbildern und wie im Nebel versunkenen Soundscapes.
Mal um Mal schälte sich Konkreteres heraus, dann etwa, wenn Wolfert Brederode inmitten der weitgehend ausnotierten Kompositionen zu kraftvoll sperrigen Improvisationen anhob, die Glut anfachte und die Musik der hellwach und empathisch interagierenden Akteure des Sextetts wie ein schwebender Teppich emporstieg, Momente der Hoffnung zu schenken.
Da hieß es zuhören, beide Sets wurden jeweils am Stück durchgespielt, eine eng zusammenhängende Suite aus Impressionen, Ahnungen, Erinnerungen und ungewissen Perspektiven.
2018 ist das geradezu kontemplative Werk entstanden, eine Auftragskomposition zum 100jährigen Gedenken des großen Krieges, der als Erster Weltkrieg in die Geschichte einging und so viel Zerstörung hinterließ an Land, Leib und Seele der Menschen. „Verlust, Kummer und Resilienz jener Zeit“ spiegelt das Werk, wobei Brederode nicht allen die individuelle, persönliche Resilienz im Blick hat, sondern letztere auch in einem weiteren, gemeinschaftsbezogenen Sinne versteht. So gilt die Musik von »Ruins And Remanis« gerade auch unseren Tagen.
Die Erinnerung an Überstandenes mag die Gegenwart bewältigen helfen, die Vergangenheit auch in ihren düsteren Momenten die Gegenwart zu Besserem inspirieren und die evolutionäre Kraft des kreativen Prozesses die Melancholie überwinden zu hoffender Tatkraft. Das Ende freilich bleibt offen, die Mühe uns Menschen anvertraut.