„Ich habe gar nicht gewusst, dass mir Jazz so gut gefällt“, sagt ein Gast, der nach eigenem Bekunden zum ersten Mal den Birdland Jazzclub in Neuburgs Altstadt besucht. Wobei das Scott Hamilton Quartet, das gerade nach dem ersten von zwei Konzerten an zwei aufeinander folgenden Tagen die neue Spielzeit im beide Male ausverkauften Club absolviert hat, freilich auch die ideale Einstiegsdroge ist. Zum Jazz allgemein und für die neue Saison auch.
Hamilton, seit Jahren eine der auffälligsten Figuren am Tenorsaxofon, wenn es um Mainstream geht, tritt mit seinem amerikanischen Landsmann Jiggs Whigham an der Posaune, Bernhard Pichl am Flügel, Rudi Engel am Kontrabass und Michael Keul am Schlagzeug an. Eigentlich spielt er weitgehend „nur“ Standards. Er verfolgt damit im Grunde einen traditionellen Ansatz, und dass seine aktuelle CD den Titel „Classics“ trägt, ist sicher kein Zufall. Wie er dabei zu Werke geht, ist allerdings in hohem Maße originell. Paradebeispiel vor der Pause ist „On The Street Where You Live“, das überraschenderweise als Mambo – und mit Stan Getz-Zitaten angereichert – fast noch besser funktioniert wie im Original, dicht gefolgt von seinen Versionen von Milt Jacksons „Bag’s Groove“ und Bix Beiderbeckes „Louisiana“.
Jiggs Whigham hat bei J.J.Johnsons „Lament“ seinen großen Auftritt und ist auch jederzeit für einen flotten Spruch zu haben. So habe er den Blues „Bye Bye Donny!“ eigens für das „irre Monster“ Trump geschrieben, den er sich am liebsten auf Nimmerwiedersehen zuhause in Florida wünsche, am besten in trauter Gemeinsamkeit mit ein paar Alligatoren in den Everglades. Whigham fühlt sich pudelwohl, wenn er ein klein wenig neben der Spur agieren kann, was bei Hamilton ab und zu durchaus herzliches Gelächter hervorruft. Der Spaßfaktor ist hoch – auch bei den Musikern – doch die Stücke und das, was die fünf Herren aus ihnen machen, stehen immer im Mittelpunkt. Frank Sinatras „Three Coins In The Fountain“ und „Pure Imagination“ aus dem Film „Willy Wonka Amd The Chocolate Factory“ stehen auf der Playlist des zweiten Sets.
Und dann schwenkt Hamilton endlich ein in das Metier, in dem ihm vermutlich niemand etwas vormacht: In das der Balladen in der Nachfolge des großen Ben Webster, bei denen jedes Atemholen und jeder der samtenen, butterweichen Töne zu einem akustischen Ereignis werden. Trefflich unterstützt von der Band, auf die Hamilton seit Jahren baut, sind sie einmal mehr ein Beleg dafür, wie hervorragend man Gefühle ausdrücken kann, ohne die Mittel der Sprache zu benutzen.
Der eingangs zitierte Gast will übrigens gerne wieder kommen. Zeitnah. Recht hat er. Und genügend Gelegenheit dazu auch.