Scott Hamilton European Quartet | 19.05.2018

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Es ist kurz nach 23 Uhr, als im Hofapothekenkeller schlagartig Ruhe einkehrt und alle an den Lippen von Charly Antolini hängen. Der legendäre Schweizer Schlagzeuger wird in wenigen Tagen jugendliche 81 und hat im Laufe seiner fast sechs Jahrzehnte währenden Karriere schon eine Menge Veranstaltungsstätten gesehen, deren Verantwortliche kennengelernt, all die Wichtigtuer, Gernegroß-Veranstalter und Ausbeuter. „Aber es gibt nur einen, der sich wirklich auskennt: Mister Jazz himself, Manfred Rehm!“ Während er das sagt und der Beifall des Publikums im Gewölbe nicht enden will, hält sich der so Gelobte still und bescheiden hinter einer Säule versteckt. Wie immer, auch in Jahr des 60. Geburtstags des Birdland Jazzclubs, den es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Rehm heute gar nicht mehr geben würde.

Neuburg besitze einfach „den besten Jazzclub Deutschlands“, schwelgt Antolini weiter, und es klingt keineswegs wie eine heruntergeratterte Höflichkeitsfloskel zum runden Jubiläum, sondern ein Bekenntnis, das ihm scheinbar schon lange auf dem Herzen liegt. Die Band und er seien überglücklich, „in diesen heiligen Hallen spielen zu dürfen“. Und das taten sie über zwei Stunden zuvor auch mit vollem Körper- und Instrumentaleinsatz. Denn wenn Altvordere – was mitnichten despektierlich gemeint sein soll – wie Charly Antolini und der smarte amerikanische Tenorsaxofonist Scott Hamilton wieder mal ins Birdland kommen, dann wissen sie, dass hier vieles anders verläuft, als in ihrem sonstigen Leben „on the road“. Eine prickelnde Atmosphäre, exzellente Akustik, ein feiner Flügel, ein belastbares Schlagzeug, Rundum-Wohlfühl-Betreuung und natürlich besagter Chef, der den oft zitierten Unterschied ausmacht.

Zum Dank lassen Hamilton, Antolini sowie der Schweizer Pianist André Weiss und der Bassist Joel Lochner die Swingmaschine auf Hochtouren laufen. Gut geölt, glitzernd wie ein schneidiger Cadillac, leicht, fließend, mit einem betagten, aber absolut intakten Motor, der zwar Sprit ohne Ende verbraucht, aber nach wie vor problemlos alle Ziele, alle Gipfel erreicht. Und die Chauffeure nehmen jeden Fahrgast mit auf ihrer Reise, ganz im Gegensatz zur akademisierten Jazzer-Generation, die sich am liebsten selber spielen hört.

Diesmal sind es erstaunlich viele. Dicht auf dicht sitzen die Menschen, schwitzen, lächeln und wippen mit dem Kopf. Neuburg, die Trutzburg des Swing? Fast hat es angesichts des proppenvollen Kellers den Anschein. Doch was ist eigentlich Swing? Ein undefinierbarer Wohlfühlmoment, der einen zuerst über den Rhythmus packt und dann tief ins Innere des Körpers eindringt? Scott Hamilton und Charly Antolini, zwei renommierte Restaurateure des Swing, liefern in Neuburg ihre Version. Im Mittelpunkt ein schleichender, gehauchter, formvollendeter Saxofonton, der lässig vibriert, tropft und glimmt, der zugleich schlank, schwebend und doch wieder solide und ernsthaft daherkommt. Dazu ein Schlagzeug voller treibender Kraft und verästelter Tempi, das man nie im Hintergrund wähnt. Ein pulsierender, griffiger Bass und ein farbenreiches Piano zwischen Stride und Blues liefern die Gewürze dazu. Das eigentliche Geheimnis liegt vielleicht auch in der lässigen und doch stets konzentrierten Spielhaltung der Jungs, die auch über einen längeren Zeitraum durch die Themen sprinten und dabei ein unüberhörbares Grinsen in jeden Takt legen.

Dass Charly Antolini gerne „Bomben“ in die bereits aufgeheizte Stimmung platziert – wie die überraschenden Schläge auf die Snare bedeuten, mit denen er alle Aufmerksamkeit wieder auf sich zieht, weiß inzwischen jeder. Sie gehören einfach zu seinem ganz persönlichen Swing-Konzept, das an einem Abend wie diesem wieder einmal voll aufzugehen scheint. Zum guten Ende gibt es noch das alte Schlachtross „Sweet Georgia Brown“, gestriegelt und aufpeppt, sowie das launige Antolini-Fazit, dass die Leute hier verwöhnt seien, weil sie allwöchentlich nur das Beste geboten bekämen. Ein weises und vor allem richtiges Wort zu passenden Zeit!