Sangoma Everett Septet
Performing Miles Davis‘ „A Tribute To Jack Johnson“ | 20.09.2025

Donaukurier | Karl Leitner
 

Am 7. April 1970 nimmt der Trompeten-Star Miles Davis, der gerade mit der Verschmelzung von Rock und Jazz musikalisches Neuland betreten hat, in den Columbia Studios in New York City die von ihm selbst geschriebene Musik zu Bill Cayton’s Dokumentarfilm über den Schwergewichtsboxer Jack Johnson auf. Es handelt sich dabei um zwei 26-minütige Sessions, für die verschiedene musikalische Sequenzen aneinander montiert wurden. Zu Davis‘ Band gehören neben John McLaughlin an der Gitarre, Herbie Hancock an der Orgel und Billy Cobham an den Drums auch noch Michael Henderson am E-Bass und Steve Grossman am Sopransaxofon, eine echte Traumbesetzung also.

Nachdem Davis im nächsten Jahr 100 würde, wagt nun der Schlagzeuger Sangoma Everett am Vorabend des Jahrestages den Versuch, den Spirit dieser mittlerweile legendären Aufnahme in die Jetztzeit zu übersetzen, die langen Jams von damals neu zu interpretieren, den mäandernden Abläufen eine gewisse Struktur zu geben, gruppendynamische Prozesse in Gang zu setzen, die den Charakter der Sessions von damals zwar wiederbeleben, sie aber auch posthum gliedern.

Bei all seinem Selbstbewusstsein war Davis‘ Devise immer „Der eigentliche Star ist die Band“. Auch das hat Everett übernommen. Zusammen mit dem Trompeter Rubinho Antunes, dem Sopransaxofonisten Jean Charles Richard, dem Gitarristen Jean Baptiste Laya, dem Pianisten Bruno Ruder, dem Perkussionisten Moussa Dembele und dem Kontrabassisten Thibaud Soulas entwickelt er ein vielfältiges, perfekt ineinandergreifendes Räderwerk, lässt einzelne Spuren sich verdichten zu Soundlandschaften, häuft in höchst dynamischen Prozessen immer wieder akustische Bergmassive an, spornt seine Mitmusiker an, sie solistisch zu erklimmen. Bis auf ein wenig zielführendes Basssolo gleich nach der Pause, das im Gesamtzusammenhang wie ein Fremdkörper wirkt, meistert das Kollektiv die nicht eben einfache Aufgabe mit Bravour, Davis‘ Musik aus der wohl wegweisendsten Phase seines Schaffens nicht Ton für Ton nachzuspielen sondern nachzuempfinden, sie mit Exzerpten aus anderen Werken aus Davis‘ Feder anzureichern, also wie damals auch heute die Montagetechnik anzuwenden, und selber auf diese Weise Neues daraus zu entwickeln. Der Sound des Rock und der Umgang mit ihm nach Art des Jazz, das hört und fühlt sich ganz einfach großartig an und man spürt die immense Spannung, die in diesem Projekt steckt und sich bei dessen Aufführung entlädt.

Dreimal hat Davis im Laufe seiner Karriere Filmsoundtracks geschrieben. 1958 den für Louis Malle’s „Fahrstuhl zum Schafott“, 1987 den für Mary Lambert’s „Siesta“ und dazwischen den für „Jack Johnson“, der in einer Linie steht mit den Alben „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“, die eine neue Ära an der Schnittstelle zwischen Jazz und Rock einläuteten. Beim Konzert im Birdland freilich geht es primär weder um den damaligen Film noch um den einst vollzogenen Crossover, der schnell Fans wie Musiker in zwei Lager, ein elektrisches und ein akustisches, spaltete. Es geht um die Würdigung eines völlig zu Unrecht aus dem Fokus geratenen Werks und damit eines, ja, vielleicht sogar des größten Jazz-Stars aller Zeiten. Die an diesem Abend nur deswegen so grandios funktionieren kann, weil der wirkliche Star tatsächlich die gesamte Band ist.