„De Tout Mon Coeur“ | 18.05.2024
Eigentlich kann man da nicht viel verkehrt machen: Die Amerikaner Darryl Hall am Kontrabass und Greg Hutchinson am Drumset, zwei der wichtigsten Protagonisten des Gegenwarts-Jazz an ihren Instrumenten, dazu noch der wunderbare Südfranzose Vincent Bourgeyx am Piano und vor allem der wieder einmal unglaubliche, famose Ungar Tony Lakatos am Tenor- und Sopransaxofon. Was für Namen! Schon allein dieses Quartett würde einen Birdland-Besuch an diesem Abend allemal rechtfertigen.
Aber vorne dran steht ja noch eine Sängerin. Und eigentlich ist sie der wahre Grund dafür, warum sich diese Superband hinter ihr auf der Bühne des Neuburger Hofapothekenkeller zusammengefunden hat. Nina Plotzki würde nie in den Verdacht geraten, nur ein properer weiblicher Farbtupfer sein zu wollen, der sich eine prominente Begleitcrew zusammengekauft hat. Die 46-Jährige ist vielmehr eine überraschend hinreißende, schlicht grandiose, mit allen heiligen Wassern des Jazz gesegnete Vokalistin, die mit ihren renommierten Kollegen absolut auf Augenhöhe agiert und in dem bis auf den allerletzten Winkel besetzten historischen Gewölbe wie so häufig in den vergangenen Monaten wieder Begeisterungsstürme auslöst.
Wie ist so etwas möglich? Ein Gesangstalent, noch dazu aus Deutschland, das seit Jahrzehnten unter dem Radar läuft, hochgeschätzt von anderen Musikerinnen und Musikern, aber beim Publikum nahezu unbekannt? Das soll, nein, es muss sich jetzt ändern! Die Art, wie Plotzki spielerisch leicht agiert, die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich inmitten ihres Ensembles bewegt, ihr dunkle Timbre wie ein Mobile zwischen Piano und Saxofon hin- und herpendeln lässt, begeisterte vor gut zwei Jahrzehnten schon den großen Wynton Marsalis bei einem Deutschland-Besuch. Es sind die innovativen Interpretationen von Standards wie „The Nearness Of You“, von beschwingten brasilianischen Sambas wie „Falsa Baiana“ von João Gilberto (mit einer für mitteleuropäischen Zungen bemerkenswert sicheren Betonung dieses schnellen portugiesischen Textes) oder ihre spannenden Eigenkompositionen, die Titel wie das walzernde „White Rabbit“ beinhalten, die einen spontan gefangen nehmen. Mal wirkt die Wahl-Münchnerin unterkühlt, mal emotionsgeladen, aber immer spannend und einem stringenten Konzept folgend, das für jeden im Birdland etwas parat hält. Etwa die Zugabe mit dem lebhaften „Blues For Berry“ – Ninas Hund, bei dem Piano und Schlagzeug andeuten, dass es sich um einen ausgesprochen lebhaften Vierbeiner handeln muss. Oder Plotzkis ganz persönliche „Songs zum Weinen“, mit denen sie eine schwere persönliche Lebenskrise überstand – diesmal allerdings völlig ohne Tränen. Aber Burt Bacharachs „A House Is Not A Home“ ist so ein Stück, das jedes noch so tiefsitzende innere Eis zum Schmelzen bringt.
Wie eine Begleitband sich vorbehaltlos in den Dienst ihrer Vokalistin stellen, aber sich trotzdem noch alle Freiheiten gönnen kann, um die instrumentalen Qualitäten ihrer Mitglieder breitesten Raum zu geben, das beweisen Darryl Hall, Greg Hutchinson, Vincent Bourgeyx und Tony Lakatos mit vielen ausschweifenden, extrem farbenreichen, auf den Punkt kommenden Soli. Ein herausragender Konzertabend, und hoffentlich nicht der letzte Besuch von Nina Plotzki in Neuburg. Beim nächsten Mal braucht sie dann auch nicht mehr zur Pause ihr Outfit wechseln und von einem eleganten Abendkleid ins andere schlüpfen. Denn diese Sängerin muss längst nicht mehr durch Äußerlichkeiten auf sich aufmerksam machen. Es reicht allein ihre Stimme!