Linda May Han Oh Quartet | 13.04.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Eine Band wie diese hat man nicht alle Tage. Nicht mal im Jazz, nicht mal im Birdland in Neuburg, dessen Programm ja immer wieder mal mit unüblichen Spielformen dieses so immens vielfältigen Genres aufwartet. Zwei Stimmen stehen diesmal im Mittelpunkt, die über weite Strecken des Abends ohne Text auskommen und dennoch das Markenzeichen dieser Formation und deren versponnener und doch gleichzeitig so überaus spannender Musik sind.

Linda May Han Oh, geboren in Malaysia, aufgewachsen in Australien, wohnhaft in New York, hat sich in Neuburg eingefunden. Sie selbst spielt Kontrabass und E-Bass – zuhause in den USA unter anderem auch mit Größen wie Joe Lovano und Pat Metheny – und singt, Fabian Almazan bedient den Bösendorfer-Flügel, Mark Withfield Jr. sitzt hinter dem Schlagzeug, und Sara Serpa ist die zweite Vokalistin in Reihen der Band.

Man muss sich von der Vorstellung befreien, die Stücke des aktuellen Projekts „The Glass Hours“, um die es an diesem Abend hauptsächlich geht, hätten in gesanglicher Hinsicht irgendetwas mit dem Bild zu tun, das man sich üblicherweise von Jazzsängerinnen macht. Hier geht es weniger um Ausdruck, den Transport von Gefühlen, um Stimmvolumen oder um Soul, dafür um so mehr um das Erzeugen von Sounds, um zwei einander zuarbeitende, oft wie ein Saxofonsatz arrangierte Stimmen, die gemeinsam oder getrennt die Themen der Stücke vorstellen, Klangfarben erzeugen und ihre auskomponierten Linien durch das Dickicht des jeweiligen Titels ziehen. Die knackige Spielweise Withfields, die mehr an Vinnie Colaiuta oder Chad Wackerman erinnert und meilenweit entfernt ist vom Spiel eines Swing-Drummers, der behutsame Einsatz eines per Pick Up an den Flügel angekoppelten Synthesizers, das dynamische Spiel der Bandleaderin selbst – das alles ergibt eine Klangkulisse, die irgendwo zwischen den Eckpunkten der extremen Zurückgezogenheit und der fusionartigen Experimentierlust angesiedelt ist. Es gab in den Sechziger und Siebziger Jahren vor allem in der britischen Jazz- und auch Rockszene mal Bands, die mit Wagemut einen ähnlichen, seinerzeit mehr als wagemutigen Ansatz verfolgten und auch weibliche Stimmen dergestalt einsetzten. Damals freilich war das lediglich Beiwerk, hier ist es Alleinstellungsmerkmal.

Bestes Beispiel für die Vielfältigkeit der Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind die beiden Stücke „Respect“ und „Chimera“, die zu einer Nummer zusammengezogen werden, in der sich aus einer hymnisch-schwebenden Klangwolke fast unmerklich, getragen von den stimmlichen Sirenen, die Szenerie zuerst fast unmerklich, dann aber doch zusehends immer mehr verdichtet und dann Struktur annimmt. Eigenartig ist, wie wenig verkopft diese Musik trotz durchaus erkennbarer Avangarde-Anleihen doch daherkommt, wie prägnant die Grooves sind und wie nachvollziehbarer die Stimmlinien im Verlauf des Konzert werden, obwohl sie doch zu Beginn des Abends bei „Hello!“ noch eher den Eindruck einer gewissen Fremdartigkeit hinterlassen haben. Ja, Jazz ist ein wahrlich weites Feld. Und dass das Programm des Birdland es in all seinen Facetten und Nuancen quasi vor der Haustüre anbietet, ist ein absoluter Glücksfall. Wo sonst könnte man Bands wie diese hören und somit immer wieder spannendes Neues entdecken?