Dr. Tobias Böcker, der Stiftungsratsvorsitzende der Neuburger Barockkonzerte, die auch heuer wieder, einer berwährten Tradition folgend, zu Gast sind im Birdland Jazzclub, spricht in seiner Begrüßung von einem „doppelten Brückenschlag“ zwischen Klassik und Jazz sowie zwischen dem legendären Modern Jazz Quartet, das 1990 im Birdland ein sensationelles Konzert gab, und dem schweizerischen Quartet, das an diesem Abend in identischer Besetzung jenem seine Reverenz erweist.
John Lewis, Milt Jackson, Percy Heath und Kenny Clarke schufen seinerzeit eine einzigartige Verbindung zwischen Cool Jazz und europäischer Kammermusik, heute spüren Pianist Philip Henzi, Vibraphonist Thomas Dobler, Bänz Oeser am Kontrabass und Pius Baschnagel am Schlagzeug dieser Spur nach mit ebenfalls runden, in sich geschlossenen eigenen Kompositionen, Adaptionen und neu bearbeiteten Arrangements, in diesem dafür so typischen feinen und leichthin fließenden, fast schwebenden Sound, getragen von Vibraphon und Klavier gleichermaßen. Die Fußabdrücke Bachs sind deutlich hörbar, bei Doblers neuen Stücken wie „Another Bach“ oder „Bachinsky“ sogar als Überschriften auf den Notenblättern, aber auch bei Dizzy Gillespie’s „Be Bop“, Horace Silver’s „Opus De Funk“ oder Gershwin’s „Love Is Here To Stay“.
Das Modern Jazz Quartet hatte seinerzeit das Anliegen, den Jazz nicht nur den berühmten New Yorker Clubs zu überlassen, sondern ihn auch in die Konzertsäle zu bringen. Vielleicht liegt darin der Hauch von akademischer Ernsthaftigkeit, den man gerade vor der Pause immer wieder wahrzunehmen scheint. Das Quartett von damals und auch der Nachfolge-Vierer hier und heute auf der Birdland-Bühne schaffen es freilich mühelos, jenem bedingungslosen Swing an die Seite zu stellen, eine geradezu ansteckende Leichtigkeit hervorzurufen, die alle im Saal – das Klassikpublikum wie die Jazzleute – ansteckt und am Ende zu zwei Zugaben führt. Ab der hinreißenden Version von Ellington’s „Caravan“ kurz vor der Pause haben Band und Auditorium ihre jeweilige Betriebstemperatur erreicht und die Sache wird quasi zum Selbstläufer. Alle verbünden sich, trennende Momente – sofern es sie heutzutage überhaupt noch gibt – lösen sich in Luft auf und die Wirkung, die die vier Herren aus Zürich und Bern mit ihrem Programm hervorrufen, ist viel wichtiger als einst erbittert geführte Grundsatzdebatten über E- und U-Musik.
Vom Brückenbauer John Lewis, der sich einst scherzhaft selbst als – so war das damalige Vokabular nun mal – „Neger vom Geiste Mozarts“ bezeichnete, stammt der ebenso simple wie wahre Satz „Jede Musik, die man hört, übt einen Einfluss aus.“ Unter anderem einen, der Akzeptanz, der Toleranz und Offenheit befördert. Musikalische Mixturen, Crossover und Fusionsprojekte sind die Folge. Musiker grenzen sich mit ihnen gerne ab vom Mainstream, erfinden immer wieder neue Ausdrucksformen, wenn die eben erfundenen selber zum Mainstream geworden sind, bedienen sich bei anderen Genres. Und das Publikum, so es nicht erstarrt ist, geht mit, betritt die Brücke, bricht mit den Künstlern auf zu neuen Ufern. So war es einst beim immens erfolgreichen Modern Jazz Quartet, so ist es auch in der Nachbetrachtung im ausverkauften Birdland Jazzclub.