Donaukurier | Karl Leitner
Seit 25 Jahren bereits lädt der Birdland Jazzclub die regelmäßig im Herbst – heuer zum 78. Mal – stattfindenden Neuburger Barockkonzerte in den Keller unter der ehemaligen Hofapotheke ein, wofür geografisch nur ein Weg von gerade einmal hundert Metern vom Kongregationssaal oder dem Rittersaal des Schlosses aus zurückzulegen sind, zeitlich aber einer von drei Jahrhunderten. „Bach goes Jazz“ könnte man das Ganze nennen oder auch umgekehrt „Jazz hosts Bach“, weil die beabsichtigte Annäherung ja aus beiden Richtungen erfolgt, aus der der Klassik und der des Jazz.
Auf den Dialog zwischen beiden Genres weist denn auch Tobias Böcker, der Vorsitzende des Stiftungsvorstands der Neuburger Barockkonzerte, in seiner Eröffnungsansprache eigens hin, bevor Paulo Morello an der Gitarre und Peter Nitsch am Kontrabass sowie Bratschist Martin Stegner von den Berliner Philharmonikern versuchen, den Plan praktisch in die Tat umzusetzen. Da sind einerseits die „Bach Inventionen“, „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ und „Bourrée“, an dem sich 1969 bereits Flötist Ian Anderson versucht hat und damit sogar einen veritablen Rock-Hit mit Jethro Tull landete, und da sind andererseits die Morello-Stücke „7:1“ und „Robert’s Waltz“, „Segura Ele“ von Benedito Lacerda und Pixinguinha und „Choro Pro Zé“ von Guinga, also Jazz-Versionen brasilianischer Vorlagen, die in Verbindung zueinander gebracht werden sollen. Die Voraussetzungen hierfür sind günstig, denn Morello und Stegner kennen sich von der Formation „Bolero Berlin“ her, der ein ähnliches Konzept zugrunde liegt, nur eben für eine größere Besetzung, und die beiden Genres verstehen sich auch an diesem Abend gut, gehen aufeinander zu. Morello bewegt sich im klassischen Bereich sehr souverän, Stegner steuert Soli bei, die seine Vorliebe für die Möglichkeiten der Improvisation im Jazz verra-ten. Und Nitsch, der auch noch zwischen den beiden in der Mitte steht, ist das verbindende Glied.
Ja, die beiden Genres verstehen sich, mögen sich, flirten ohne Scheu miteinander, aber sie umarmen sich erst wirklich in der ersten Zugabe bei Morello’s „Cooking At the Birdland“, einem entspannten funky Blues, der Gastgeber Manfred Rehm vom Birdland gewidmet ist. Zuvor wird durchaus deutlich, dass die beiden Hauptsolisten verschiedene Hintergründe haben und ursprünglich aus unterschied-lichen musikalischen Kinderstuben kommen. Während die Bratsche soliert, unterstützt sie begleitend die Gitarre ganz selbstverständlich und spontan, weil das im Jazz nun mal so üblich ist. Umgekehrt bleibt das die Ausnahme. Was überhaupt nicht schlimm ist und die Qualität der Musik absolut nicht beeinträchtigt, aber als beidseitiger Beitrag zu einem echten Dialog durchaus vorstellbar wäre.
Am Ende zählt freilich, was als Ergebnis herauskommt. Das sind in diesem Fall stürmischer Applaus und die lautstarke Forderung nach zwei Zugaben. Das Zusammentreffen zwischen Klassik und Jazz erfreut sich auch in diesem Jahr großer Beliebtheit. Im Birdland sind alle Plätze belegt, das Mischungsverhältnis zwischen Klassik, Jazz und lateinamerikanischer Musik scheint zu stimmen und das Interesse, Genres zu mixen oder es doch zumindest zu versuchen, also das auf die Bühne und in den Saal zu zaubern, was man gemeinhin „Crossover“ nennt, scheint auch viele Jahre nach Jacques Loussier oder dem „Third Stream“ nach wie vor ungebrochen.
Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
Im Orchesterkosmos nimmt die Bratsche nicht gerade einen Spitzenplatz ein. Es gibt über Bratschisten jede Menge wenig schmeichelhafter Witze. Tenor: An diesem Instrument arbeiten sich eher die musikalischen Kleinmeister und die nicht ganz so hellen Köpfe ab. Derlei widerfährt Geigerinnen, Cellisten, Bassisten oder Oboisten selten.
Martin Stegner, Bratischst bei den Berliner Philharmonikern und zugleich ein wilder und witziger Jazzer, hat zum Auftakt der Neuburger Barockkonzert 2025 im Birdland-Keller bewiesen, dass all die Bosheiten über seine Zunft blanker Unsinn sind. Im Trio mit dem herausragenden Gitarristen Paulo Morello und Peter Nitsch am Kontrabass sorgte Stegner für einen erfrischenden und mit musikalischen Geistesblitzen gewürzten Abend.
Man könnte Martin Stegner einen teuflisch guten Bratschisten nennen. Technische Kabinettstücken, wildeste Arpeggien rauf und runter über die vier Saiten, betörend ausgekostete Melodien, solches Können ist bei einem Mitglied des Berliner Weltklasse-Orchesters zu erwarten. Wichtiger an diesem Abend aber ist die unbändige Freiheit, im besten Sinne auch Frechheit, die Lust an der leichtfüßigen Grenzüberschreitung zwischen Barock, Jazz und Brazil-Touch.
Schon die Besetzung mit Bratsche, Bass und Gitarre ist gelinde gesagt ungewöhnlich. Die Verbindung der drei musikalischen Welten, der spannenden Dialog – der nicht immer ein wirklicher Dialog, sondern auch mal ein versonnenes, für sich stehendes Selbstgespräch ist – setzt einen zusätzlichen Reiz. So entsteht ein Live-Erlebnis der aufregenden Art.
Die drei Akteure machen da aus einem berühmten „Arioso“ von Johann Sebastian Bach schwupp di wupp einen Bossa Nova. Das lyrische Thema verwandelt sich in neue Welten, Bratsche und Gitarre nehmen die Herausforderung an, mutig und sehr frei. Aber der sehr spezielle Jazz-Barock-Latin-Bach verliert sich nie in der Beliebigkeit. Das Trio hat einen Plan, der großes Vergnügen bereiten kann.
Neben den brillanten Akteuren an der Gitarre und auf der Bratsche hat es der Bassist nicht leicht. Peter Nitsch legt sich mit großer Vitalität ins Zeug, er setzt trocken-witzige Kommentare zu den verwegensten Eskapaden seiner beiden Mitstreiter und geht sogar rasende Unisono-Passagen eine kleine Wegstrecke mit. Bei der berühmten Bourree aus der 3. Solosuite für Cello führt er das Thema so sonor ein, dass man meint, da hätte er den Bogen genommen und nicht nur gezupft. Aus dieser Bourree wird eine verblüffende Reise, vom Vertrauten geht es in einen ganz fremden Sound, in scheinbar verlassene Gefilde, aber auf wundersame Weise löst sich die Spannung auf, das Lächeln der Jazzer zeigt an, dass sich ein gefährlicher Höhenflug wieder sicherem Grund nähert.
Das mitzudenken und mitzuhören, ist ein Geschenk. Bei den feurigen Eigenkompositionen von Paulo Morello wird diese Qualität fast körperlich spürbar. Der Brasil-Move geht in Herz, Hirn und Beine, die rasanten Tonkaskaden entführen in eine verlockende Welt, mit schwebender Leichtigkeit.
Die Komposition 7:1, an das legendäre Fußballspiel in Belo Horizonte erinnernd, ist ein großer musikalischer Spaß, ebenso das Stück „Cooking at the Birdland“, das Morello dem Birdland-Chef Manfred Rehm gewidmet hat. Nicht nur wegen dieser noblen Geste gibt es Ovationen des Publikums. Das war eine starker Auftakt zu den Barockkonzerten 2025.
Donaukurier | Karl Leitner
Das Birdland Radio Jazz Festival geht ins 15. Jahr. Seit fast ebenso langer Zeit ist es gute Tradition, die herbstliche Konzertreihe, die vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten und zeitversetzt über die Programme Bayern 2 und BR Klassik ausgestrahlt wird, nicht im Birdland Jazzclub in Neuburg, sondern im Ingolstädter Audi Forum beginnen zu lassen. Deswegen hat Birdland-Chef Manfred Rehm das im spanischen Salamanca beheimatete Daniel García Trio eingeladen, das mit einem überragenden Konzert eindeutig die Annahme widerlegt, Spanien habe in musikalischer Hinsicht ausschließlich mit Flamenco zu tun.
Freilich, in den Kompositionen García’s, die die Band, die aus ihm selbst am Klavier, Reinier „El Négron“ Elizarde am Kontrabass und Shayan Fathi am Schlagzeug besteht, so vorzüglich umsetzt, schwingt schon ein hoher Anteil an iberischen Einflüssen mit, und es ist auch recht schnell kein Geheimnis mehr, dass sein Mentor Danilo Pérez und auch der große Chick Corea Spuren bei ihm hinterlassen haben. Ebenso wie seine Zeit in den USA und sein Interesse an Pop und Rock, aber der Mann lebt schließlich nicht in einer ausschließlich dem Jazz vorbehaltenen Blase. Und das ist auch gut so.
Es gehe ihm darum, sagt er, die einem selbst oftmals unbekannten Landschaften in sich selbst zu entdecken. Und weil das eigentlich fast immer zu überraschenden Ergebnissen führt, sind die meisten Stücke des Abends auch auf einem Album namens „Wonderland“ gebündelt, während der Rest von „Travesuras“ und „Vía de la Plata“ stammt, die García bereits 2022 im Birdland vorstellte. Exzellenter Saalsound, immense Spielfreude mit stets lächelnden Musikern und höchstes musikalisches Können treffen bei diesem Trio aufeinander und ergeben zusammen mit dem kompositorischen Wagemut García’s trotz der nicht selten verästelten und vielgestaltigen Stücke ein absolut rundes Gesamtpaket. Die markante Linienführung von „El Négron“ und sein wunderschöner, markanter Sound, Fathi’s dicht gewebter, ungemein elastischer rhythmischer Teppich und García, dessen perlendes Spiel zwar auch viel mit Karibik zu tun hat, aber weit über das hinausgeht, was man gemeinhin als „Latin Jazz“ bezeichnet, machen Stücke wie „The Gathering“, „La Comunidad“ oder „Gitanilla“ in der Zugabe mit ihren wunderschönen Melodien zum Ohrenschmaus.
Das Schürfen im eigenen Ich und die Grabungen im „Wonderland“ führen an diesem Abend also zu überaus erfreulichen neuen Erkenntnissen, etwa der, dass diese Band seit ihrem letzten Konzert in der Region im Januar 2022 nochmal einen riesigen Schritt gemacht hat und ihr Weg noch lange nicht zu Ende ist. Ja, García hat eine beständige Truppe um sich geschart, zu der auch seit langem Shayan Fathi gehört, der kurzfristig für den etatmäßigen Drummer Michael Olivera eingesprungen ist, hat eine ganz eigene Nische für sich und seine Musik entdeckt und seinen eigenen „Sound“ gefunden. Und noch eine Erkenntnis ist sehr wohltuend: Jazz im Audi Forum steht nicht immer nur für traditionellen Jazz oder große Ensembles, sondern auch mal für ein „ganz normales“ Piano Trio, das aber natürlich alles andere als normale Musik macht, sondern eigenständige und außerordentliche. Die Sache funktioniert und das Publikum zeigt sich begeistert, was Veranstalter und Gastgeber gleichermaßen ganz gewiss freuen wird.
Donaukurier | Karl Leitner
Wer sich das Programm des Neuburger Birdland Jazzclubs genauer anschaut, kommt unweigerlich zu der Erkenntnis, dass den Jazzfreunden der Region ein wahrlich heißer Herbst bevorsteht. Und als wäre das nicht schon Ansporn genug, sich eines oder mehrere der geplanten Konzert anzuhören, findet zwischen dem 9. Oktober und dem 22. November auch noch das 15. Birdland Radio Jazz Festival statt.
Seit Jahren hat das Festival seinen festen Platz im nationalen und internationalen Jazzkalender und auch im Programmschema des Bayerischen Rundfunks. In Kooperation mit dem Sender werden die Konzerte mitgeschnitten, komplett bundesweit ausgestrahlt und in der Radiojazznacht zum Festivalabschluss gibt’s eine vierstündige Livesendung direkt aus Neuburg, die man übers Internetradio auf dem ganzen Globus mitverfolgen kann, eine Strategie, die auf sehr erfreuliche Weise aufgeht, wie man in den letzten Jahren den Reaktionen aus allen Kontinenten entnehmen konnte. Birdland-Chef Manfred Rehm hat das Programm wie immer so zusammengestellt, dass sich darin das Club-Konzept des Birdland widerspiegelt. Interessante Newcomer, etablierte Namen, vielversprechende Talente, internationale Künstler, derzeitige Trendsetter. Wer über eine eigene Handschrift verfügt, kann damit rechnen, einen der begehrten Auftrittstermine zu bekommen.
Das ist heuer unter anderem das Daniel Garcia Trio, das den Beweis antritt, dass Flamenco tatsächlich swingen kann, auch wenn man das zuerst gar nicht glauben kann. Camille Bertault mit ihrer Wahnsinnsstimme trägt ihre Kompositionen nicht vor, sie zelebriert sie, ist Sängerin und Vokalartistin zu gleich. Lisa Wulff ist eine der führenden Kontrabassistinnen hierzulande und hat den exzellenten Pianisten Frank Chastenier in ihrer Band. Aus der gleichen Generation kommt Schlagzeuger Jens Düppe. Er hat immer gute Bands dabei, wenn er auf Tour geht, aber der Bläsersatz mit Francesco Bearzatti (Tenorsaxofon) und Frederik Köster (Trompete) ist schon nochmal eine Klasse für sich.
Das Trio der aus Vancouver, Canada stammenden Musikerin Kris Davis gehört zum Außergewöhnlichsten, was man derzeit in Sachen Piano-Trio hören kann. Mit dabei: Zwei legenden, nämlich Jonathan Blake am Schlagzeug und Robert Hurst am Bass. Am Durchstarten ist derzeit das zum Quintett aufgestockte Trio der Pianistin Gee Hye Lee. Der junge Trompeterstar Jakob Bänsch und die Top-Leute Mareike Wiening an den Drums und Alexander Sandi Kuhn am Tenorsaxofon machen diese Ausnahmeband komplett. Der norwegische Gitarrist Lage Lund lebte lange Zeit in New York und spielte dort mit Wynton Marsalis und Sullivan Fortner. Mit in Neuburg dabei: der großartige Danny Grissett am Piano. Die Live-Nacht zum Festival-Abschluss ist traditionell einer Newcomer-Band vorbehalten. Heuer wurde dafür das Quartett der Sängerin Fernanda von Sachsen verpflichtet, die 2025 den Bayerischen Kunstförderpreis erhielt. Zum Finale gibt’s also nach Camille Bertrault noch einmal eine großartige junge Stimme, von der man auch künftig ganz sicher noch eine Menge hören wird.
Tickets für die sieben Konzert im Birdland Jazzclub sind erhältlich unter www.birdland.de/programm, Karten für die Veranstaltung im Audi Forum gibt’s beim Audi-Ticketshop oder über www.birdland.de. Von dort wird man per Link zum Ticketshop weitergeleitet.
Donaukurier | Karl Leitner
Etliche Jahre hat Manfred Rehm, Chef des Birdland Jazzclubs in Neuburg, auf diesen Tag hingearbeitet und nicht locker gelassen. Er wollte ihn unbedingt wenigstens einmal im Birdland haben und nun ist er endlich da. Noch dazu mit einem Solokonzert, was ja immer etwas ganz besonderes ist. Fred Hersch aus New York City, der von der Fachwelt kurz und bündig als „der weltweit beste aktive Jazzpianist“ bezeichnet wird, sorgt für den längst fälligen Eintrag im Gästebuch des Clubs und liefert ein sensationelles Konzert ab.
Tommy Flannagan, Cecil Taylor, Kenny Baron – die Liste legendärer Jazzpianisten im Birdland ist ellenlang und eindrucksvoll, aber Hersch mit seiner schier unerschöpflichen harmonischen und melodischen Fülle setzt neue Maßstäbe, erweitert das, was vor ihm war, immer wieder um neue Einflüsse, entwickelt sein Spiel permanent weiter und ist ein steter Erneuerer, der als Improvisator eine Atmosphäre schafft, in der sich seine Musik organisch entwickeln kann. Hersch stattet sein musikalisches Gebäude mit vorher nicht existenten, selbst entworfenen Accessoires aus, räumt hin und her, ist auf verschiedenen Ebenen aktiv, erfindet aus dem Augenblick heraus künstlerisch einzigartige Objekte, die das Ergebnis eines offensichtlich nie endenden kreativen Prozesses sind. Hersch’s kreativer Output ist anscheinend grenzenlos, seine Spielweise einzigartig. Wie er melodische Linien von der rechten auf die linke Hand quasi „durchreicht“, wie er ständig die Akzentuierung verschiebt, Tempi variiert, moduliert, wie er die ausgewählten Stücke mit Zitaten, auch aus dem Bereich der Klassik, geradezu spickt, so dass das Thema mitunter selber zum Zitat wird, so macht das in dieser Perfektion außer ihm niemand in der Welt des Jazz. Wenn Hersch improvisiert, steht gewissermaßen für eine gewisse Zeit die Welt still. Nichts anderes ist mehr wichtig, wenn man ihm als Zuhörer auf immer neue Pfade folgt, dabei seinen nie versiegenden Ideenreichtum bewundert, sich bedingungslos der Führung durch seine überbordende Kreativität anvertraut.
Hersch’s Einzigartigkeit wird hörbar in Eigenkompositionen wie den Titelsong seines aktuellen Albums „The Surrounding Green“, dem für seine Mutter geschriebenen „West Virginia Rose“ oder dem Bill Frisell zugedachten „Down Home“, noch mehr aber fast bei seinen Adaptionen, weil man hier im Vergleich zum Original ausmachen kann, wie sehr Hersch die Vorlagen sozusagen zu eigenen Kompositionen macht, ohne ihnen Gewalt anzutun oder sie gar zu zerstören. Duke Ellington’s „Mood Indigo“ und „Caravan“ sind beste Beispiele dafür, aber auch „Softly As In The Morning Sunrise“ oder Benny Golson’s „Whisper Not“ belegen dies ebenso wie Antonio Carlos Jobim und natürlich Thelonious Monk, weil: „Es gibt für mich kein Konzert ohne Monk-Music“, wie Hersch sagt.
Und als dann im Zugabenteil auch noch Billy Joel’s „And So It Goes“ erklingt, offenbart uns Hersch – nach seiner Hommage „Pastorale“ als Verbeugung vor Robert Schumann – noch ein weiteres Mal, dass Genregrenzen für ihn ja sowieso nicht existieren. Der Gigant Fred Hersch im Birdland. Was für ein sensationelles Konzert. Ein Weltstar zum Anfassen und zum Plaudern gleich nach dem Konzert am Tresen. Und das alles direkt vor unserer Haustür.
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Die Musik entspringt wie ein Wildbach. Sie beginnt einfach irgendwo-irgendwann, reiht Note an Note aneinander, und die daraus entstehende Melodien dann wieder zu bunten Schleifen, die durch den Herbstwind flattern. Jeder Ton ist ausschließlich Fred Herschs Ton, immer linear, akkordisch und vor allem reduziert. Ein Konzert wie das am Samstagabend im Neuburger Birdland-Jazzclub wirkt wie ein Weckruf in einer Zeit, in der das Wichtige, das Bedeutsame, das Schöne immer mehr an Bedeutung verliert. Und es bleibt.
Der scheue, bescheidene Pianist aus Cincinnati (Ohio), der am Ende des Monats seines 70. Geburtstag feiern kann und längst als der Maßstab des Jazzpianos der Gegenwart gilt, spielt tatsächlich in Neuburg, solo! Jahrelang hat sich Birdland-Boss Manfred Rehm um Hersch bemüht, nun hat es endlich geklappt! Fans sind deshalb bis aus Wien angereist, um ihn bei einem seiner seltenen Konzerte auf die Finger schauen zu können, die Elbphilharmonie in Hamburg, wo er in wenigen Tagen gastiert, ist schon seit Monaten ausverkauft. Welche unglaublichen Musiker kommen da eigentlich nach Neuburg? Weiß das überhaupt jemand hier richtig einzuordnen, zu schätzen? Die Frage stellt sich leider immer wieder, und gerade am Beispiel von Fred Hersch lässt sich erkennen, was hier Großartiges geschaffen wurde und noch immer wieder um Anerkennung ringen muss. Denn Hersch ist ein Zauberer, der mit einfachsten Mitteln die Menschen in den Bann schlagen kann, ein Magier zwischen Hell und Dunkel, der vom Lieblichen ins Geisterhafte zu wechseln imstande ist, ohne dass es wie ein Bruch wirkt. Wer ihm lauscht, wird mit einer Kunst konfrontiert, die auf alle Mätzchen des Zeitgeistes zugunsten eines eigenständigen, in sich ruhenden Musizierstils verzichtet. Ein Platz in der Ahnengalerie famoser Jazzpianisten neben Hank Jones, Ahmad Jamal oder Bill Evans ist ihm dabei längst sicher.
Er beginnt mit der wundervollen, emotionalen Tonfolge seiner Komposition „The Surrounding Green“, lässt bei Egberto Gismontis „Palhaço“ ein Hauch von Latin-Musik durch den Keller wehen und verwandelt die Hardbop-Ode „Whisper Not“ von Benny Golson mit wenigen Handstrichen in ein impressionistisches Kleinod. Ein solches Gespür für melodische Linien hört man in dieser Konsequenz kaum, schon gar nicht bei Jazzpianisten. Es sind Ahnungen einer unendlichen Melodie, Motive, die sich aneinanderschmiegen, sich trennen, neue Linien bilden, sich in Kontrapunkte zwischen linker und rechter Hand aufteilen. Ein unerhörter Singsang ohne Worte entsteht auf diese Weise, der wie das formale Abbild eines größeren Urbilds von Musik im Hintergrund erscheint. Kein Ton ist zu viel, nirgends. Alle Klangnuancen scheinen einem ebenso unaufdringlichen wie ehernen Gesetz des Ebenmaßes zu folgen. Fred Hersch ist kein vielarmiger Krake, der seine Tinte wahllos über die ganze Tastatur verteilt.
Dies wird vor allem beim Gassenhauer „All Of Me“ überdeutlich: Das Stück mäandert im swingenden Halbschlaf durch den Raum und weckt den Anschein eines surrealistischen Ragtimes. Oder Duke Ellingtons Erkennungsmelodien „Mood Indigo“ und „Caravan“. Maximal entschleunigt, sensitiv getupft, entreißt sie Fred den Klauen des Populismus und gibt ihnen ihr strahlendes Gesicht zurück. Der Abend endet, wie er begonnen hat: mit spärlich plätschernden Melodien, Miniaturen, von emotionaler Kraft und Tiefe: „Virginia Rose“ für seine 96-jährige Mutter, Monks „I Mean You“ und das anrührend schlichte „And So It Goes“. Danach Bravo-Rufe, Ovationen und zwei Zugaben. Ein Konzert für die Ewigkeit.
Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
Kein Auftakt mit Donnerschlag, kein auftrumpfendes Virtuosenbekenntnis, sondern ein tastendes, gleichwohl von Beginn an bewegliches Erkunden der Stille. Es sind diese Abende, die den Ruf des Neuburger Birdland immer wieder bestätigen. Jenseits aller Schlagzeilen lebt hier die unmittelbare Begegnung mit dem Jazz, unverstellt, nah und intensiv. In jedem Moment ist zu spüren, dass Musik hier nicht einfach erklingt, sondern sich ereignet – im Augenblick, in der Interaktion zwischen den Musizierenden, zwischen Bühne und Publikum.
Die im Birdland wohlbekannte Pianistin Julia Hülsmann, eine echte Instanz der deutschen Jazzszene, ließ gemeinsam mit Marc Muellbauer am Bass, Heinrich Köbberling am Schlagzeug und Uli Kempendorff am Tenorsaxofon zwischen kontrollierter Zurückhaltung und subtiler Intensität sanft oszillierende Klangräume entstehen. Es ist große Kunst, die Spannung nicht aus äußerer Lautstärke oder überstürztem Temperament zu gewinnen, sondern aus der Reduktion, aus der Zwiesprache, aus dem klugen Platzieren der Töne, dabei im weiten Reich zwischen Romantik und modernem Jazz auch den Groove nicht zu kurz kommen zu lassen.
Hülsmanns perlend leichter Anschlag gibt jedem Ton sein Gewicht und seine Bedeutung, ohne sich freilich bedeutungsschwanger zu gerieren und doch mit einer Bestimmtheit geformt, die den Horizont jedes Stückes klar absteckt. Muellbauers Bass trägt das Geschehen mit profundem Ton und einem Sinn für Linien, der sich eher in langen Bögen als in solistischen Zuspitzungen entfaltet. Seine Bassfiguren wirken wie Erdanker, ohne die Leichtigkeit zu beschneiden. Köbberling wiederum versteht das Schlagzeug nicht als Schlaginstrument, sondern als atmende Hülle: sparsame Akzente, kaum vernehmbare Wirbel, manchmal das feine Streichen über Beckenränder – stets mehr Geste als Pose in filigranem Drumming. Auf diesem transparenten Geflecht entfaltet Kempendorff bei seinem Neuburger Debut sein Spiel, das zugleich kühn und zurückhaltend bleibt. Sanfte Attacke mit sonorem Ton und wirkmächtiger, traditionsbewusster Gestaltungskraft.
Dass in diesem Quartett niemand sich nach vorn drängt, ist mehr als bloße Bescheidenheit. Es ist Ausdruck einer Haltung, die dem Kollektiv Vorrang gibt. Jeder Ton steht im Dienst des Ganzen. So wirkt der Abend nicht wie eine Abfolge von Stücken, sondern wie eine durchgehende musikalische Erzählung, deren Kapitel sich organisch aneinanderfügen. Man findet sich unversehens mitten im Strom, getragen von einer Sogkraft, die nicht mitreißt, sondern einlädt, sich treiben zu lassen. Feine Balance schon im Opener „They Stumble They Walk“, lautmalerisches Frühlingserwachen im „May Song“, lebhafte Rhythmik in „Milkwead Monarch“, auch ein Popsong darf nicht fehlen, Adeles „Rolling in The Deep“, aber natürlich anders, deutlich beweglicher, feiner, mit Sinn für Zwischentöne, wo sie zunächst gar nicht zu vermuten sind. Überhaupt: „Under The Surface“, Titel der aktuellen CD, darunter und dahinter passiert so einiges, was man gar nicht so ahnt. Erdung ist auch immer wieder angesagt, eher weich und sensibel in „The Earth Below“, auch angesichts aktueller kulturpolitischer Entwicklungen, wobei letztere mit „Anti Fragile“ auch mal ein Wut-Stück hervorbringen. „Handfest sein und sich wehren“, rät Julia Hülsmann da unmissverständlich zur Zivilcourage der Demokraten.
Donaukurier | Karl Leitner
Julia Hülsmann im Birdland? Das hatten wir schon öfter. Alle paar Jahre mal gastiert die Pianistin und Komponistin aus Berlin in Neuburg. Jedes Mal hat sie ein anderes Projekt im Köcher, diesmal heißt es „Under The Surface“, ist auf ECM als CD und LP erschienen und liefert den Stoff für einen in hohem Maße interessanten Abend, den sie mit ihrem seit nunmehr 23 Jahren bestehenden Trio (Marc Muellbauer am Kontrabass und Heinrich Köberling am Schlagzeug) bestreitet, das durch die Mitwirkung des vor geraumer Zeit zur Band gestoßenen Tenorsaxofonisten Uli Kempendorff zum Quartett wurde.
Es ist dieses ungemein lustbetonte Spiel mit Melodien und Rhythmen, das den Abend zum einen Teil bestimmt, die nach Art eines Chamäleons sich ständig ändernden Farben und Ansätze innerhalb der Kompositionen, die daraus sich enwickelnden Schattierungen. Die changierenden Blickwinkel, mit der die Pianisten den Stücken verschiedene Aspekte entlockt, die „They Stumble, They Walk“ und „May Song“ gleich zu Beginn des Konzerts ihren unverwechselbaren Charakter verleihen, bekommen mit „Milkwood Monarch“ auch vom Titel her ihre Entsprechung. Mit dem Monarch ist der Schmetterling gleichen Namens gemeint, und wenn der mit den Flügeln schlägt, hat das – laut Chaos-theorie zumindest – ja oft ungeahnte Folgen. Bei diesem Quartett heißt das freilich: Spielerische Leichtigkeit, Ergebnisoffenheit und kreative Freiheit, Faktoren also, die ein Konzert spannend machen, aber in diesem Fall gar nichts mit Beliebigkeit zu tun haben.
Denn auch Zielstrebigkeit, Organisation und ein fest umrissenes Konzept sind wichtig an diesem Abend. Zum Beispiel die Einpassung eines Popsongs – in diesem Fall „Rolling In The Deep“ von Adele – in ein ansonsten eher lyrisch ausgerichtetes Stimmungsbild, das sanft gleitende „Bubbles“ als Gegengewicht zum bebopartigen „Jetzt noch nicht!“, das recht straff organisierte „Nevergreen“ gegenüber dem Titelstück des aktuellen Albums, das auf einem ausgetüfteltem Akkordsystem und einem wohl überlegten Aufbau mit A- und B-Teil beruht. Und dann ist da neben dem warmen, wohligen „The Earth Below“ ja auch noch „Anti Fragile“, das „Wutstück“ Hülsmanns als deutlich hörbares Statement gegen Kunstfeindlichkeit und kulturelle Verarmung und die damit einhergehende gesellschaftliche Verrohung, bei dem sie es gegen Ende hin – für ihre Verhältnisse – recht ordentlich krachen lässt.
Überlegte Organisation bei gleichzeitiger Bereitstellung und Ausnutzung improvisatorischer Freiräume, komprimierte Abläufe und trotzdem genügend Platz für das kreative Moment bei allen Beteiligten.Vielleicht zeitigt diese Vorgehensweise deswegen ein so charmantes, farbenfrohes und schillerndes Ergebnis, weil jeder Musiker nicht nur als Solist und Ensemblespieler sein Scherflein beiträgt, sondern auch als Komponist, und nur aus dem Team heraus etwas Ganzes wachsen, eine Band einen Gesamtsound und eine eigene Sprache innerhalb des Modern Jazz entwickeln kann. Das Publikum würdigt das mit lang anhaltendem Applaus und dem dringenden Wunsch nach Zugabe, vermutlich nicht nur aus Hochachtung der musikalischen Leistung der Beteiligten gegenüber, sondern weil es genau spürt, dass an diesem Abend alles auf sehr schöne Weise„stimmig“ ist.
Performing Miles Davis‘ „A Tribute To Jack Johnson“ | 20.09.2025
Donaukurier | Karl Leitner
Am 7. April 1970 nimmt der Trompeten-Star Miles Davis, der gerade mit der Verschmelzung von Rock und Jazz musikalisches Neuland betreten hat, in den Columbia Studios in New York City die von ihm selbst geschriebene Musik zu Bill Cayton’s Dokumentarfilm über den Schwergewichtsboxer Jack Johnson auf. Es handelt sich dabei um zwei 26-minütige Sessions, für die verschiedene musikalische Sequenzen aneinander montiert wurden. Zu Davis‘ Band gehören neben John McLaughlin an der Gitarre, Herbie Hancock an der Orgel und Billy Cobham an den Drums auch noch Michael Henderson am E-Bass und Steve Grossman am Sopransaxofon, eine echte Traumbesetzung also.
Nachdem Davis im nächsten Jahr 100 würde, wagt nun der Schlagzeuger Sangoma Everett am Vorabend des Jahrestages den Versuch, den Spirit dieser mittlerweile legendären Aufnahme in die Jetztzeit zu übersetzen, die langen Jams von damals neu zu interpretieren, den mäandernden Abläufen eine gewisse Struktur zu geben, gruppendynamische Prozesse in Gang zu setzen, die den Charakter der Sessions von damals zwar wiederbeleben, sie aber auch posthum gliedern.
Bei all seinem Selbstbewusstsein war Davis‘ Devise immer „Der eigentliche Star ist die Band“. Auch das hat Everett übernommen. Zusammen mit dem Trompeter Rubinho Antunes, dem Sopransaxofonisten Jean Charles Richard, dem Gitarristen Jean Baptiste Laya, dem Pianisten Bruno Ruder, dem Perkussionisten Moussa Dembele und dem Kontrabassisten Thibaud Soulas entwickelt er ein vielfältiges, perfekt ineinandergreifendes Räderwerk, lässt einzelne Spuren sich verdichten zu Soundlandschaften, häuft in höchst dynamischen Prozessen immer wieder akustische Bergmassive an, spornt seine Mitmusiker an, sie solistisch zu erklimmen. Bis auf ein wenig zielführendes Basssolo gleich nach der Pause, das im Gesamtzusammenhang wie ein Fremdkörper wirkt, meistert das Kollektiv die nicht eben einfache Aufgabe mit Bravour, Davis‘ Musik aus der wohl wegweisendsten Phase seines Schaffens nicht Ton für Ton nachzuspielen sondern nachzuempfinden, sie mit Exzerpten aus anderen Werken aus Davis‘ Feder anzureichern, also wie damals auch heute die Montagetechnik anzuwenden, und selber auf diese Weise Neues daraus zu entwickeln. Der Sound des Rock und der Umgang mit ihm nach Art des Jazz, das hört und fühlt sich ganz einfach großartig an und man spürt die immense Spannung, die in diesem Projekt steckt und sich bei dessen Aufführung entlädt.
Dreimal hat Davis im Laufe seiner Karriere Filmsoundtracks geschrieben. 1958 den für Louis Malle’s „Fahrstuhl zum Schafott“, 1987 den für Mary Lambert’s „Siesta“ und dazwischen den für „Jack Johnson“, der in einer Linie steht mit den Alben „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“, die eine neue Ära an der Schnittstelle zwischen Jazz und Rock einläuteten. Beim Konzert im Birdland freilich geht es primär weder um den damaligen Film noch um den einst vollzogenen Crossover, der schnell Fans wie Musiker in zwei Lager, ein elektrisches und ein akustisches, spaltete. Es geht um die Würdigung eines völlig zu Unrecht aus dem Fokus geratenen Werks und damit eines, ja, vielleicht sogar des größten Jazz-Stars aller Zeiten. Die an diesem Abend nur deswegen so grandios funktionieren kann, weil der wirkliche Star tatsächlich die gesamte Band ist.
Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
Normalerweise ist ein Quartett nach dem Bandleader benannt, der auch musikalisch und nicht nur nominell die Leitlinien setzt. Bei der Formation, die am Freitag im Birdland Neuburg begeisterte, war es ein wenig anders. Das Harry Allen-Martin Sasse Quartet firmiert unter einem Doppelnamen. Und das aus gutem Grund. Vom ersten bis zum letzten Song wurde klar: Diese Vierer-Band zieht ihre musikalische Qualität aus der schier unerschöpflichen Kreativität des Pianisten Martin Sasse und des Saxofonisten Harry Allen.
Und zwar wirklich zu gleichen Teilen. Der amerikanische Saxofon-Großmeister Allen und der herausragende Kölner Jazz-Pianist Martin Sasse prägen den Sound, den Spirit und den Drive dieser Formation. Was nicht heißt, dass der Mann am Bass (Bastian Weinig) und der Schlagzeuger Joost van Schalk nur schmückendes Beiwerk wären. Beide sind feinfühlige, mit hellwacher Präsenz musizierende Akteure. Zum ebenso kraftvollen wie schwebend swingenden Grundton der Band tragen sie ihren Anteil bei. Aber die „Big Points“ verwandeln Sasse und Allen.
Virtuoses Können und technische Perfektion bringen (so gut wie) alle Musiker/innen mit, die im Birdland Neuburg auftreten. Auch Harry Allen und Martin Sasse haben an diesem Abend genug Gelegenheit, in wilden Tonfolgen diese Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Entscheidend ist aber etwas anderes. Der Mann am Bösendorfer-Flügel und sein Partner am Tenor-Saxofon machen aus scheinbar einfachen Songs mit ihrer schier nicht zu bändigenden Lust am Improvisieren, am freien Spiel mit den tollsten Harmonien aufregende musikalische Reisen. Titel wie „If I were a ball“ oder „Four lovers“ und „The End of a Love affair“ können exemplarisch für diesen musikalischen Genuss – bei den Akteuren selber und beim Publikum – stehen.
Nicht nur einmal denkt man sich als Zuhörer, was den beiden Teufelskerlen auf der kleinen Birdland-Bühne jetzt wohl wieder einfällt. Und kaum hat man registriert, welche rasanten Kurven und eleganten Volten der Pianist oder der Kollege am Saxofon da gerade hinlegen, biegen sie schon in einen neuen musikalischen Weg ab. Dieses Überraschungsmoment haben auch der Bassist und der Schlagzeuger gelegentlich zu bieten, denn die Bälle, die ihnen von den beiden Leadern zugeworfen werden, wollen ja auch ordentlich aufgenommen werden.
Die Formation Piano, Tenorsaxofon, Bass und Schlagzeug ist die gleiche wie beim Saisonauftakt im Birdland vor einer Woche mit „Scott Hamilton & friends“: Wer beides gehört hat, der durfte zwei für sich beeindruckende, aber auch sehr verschiedene Konzerte in identischer Instrumentierung erleben. Hamiltons Band bot eher sanfte, balladenhafte und eher kammermusikalsch geprägtes Zusammenspiel. Bei Harry Allen, Martin Sasse und ihren Mitstreitern war der musikalische Zugriff etwas härter, auch in der Lautstärke ging es in andere Dimensionen, wurde nie zu massiv. Diese Musik war zupackender und expressiver. Beide Varianten haben ihre wunderbaren Momente. Dem einen mag dieses mehr zusagen, dem anderen jenes. Aber das ist dann reine Geschmackssache.