In der Nacht sind alle Katzen grau, heißt es. Draußen auf dem Karlsplatz vielleicht schon, wo in dieser Nacht wieder einmal der Übertragungswagen des Bayerischen Rundfunks steht, um das dritte Konzert des derzeit laufenden Birdland Radio Jazz Festivals aufzuzeichnen, aber ganz sicher nicht drinnen im Neuburger Birdland Jazzclub, wo das Quartett der Bassistin Lisa Wulff ein Konzert gibt, das gerade durch seinen Farbenreichtum und seine klanglichen Schattierungen zu einem ganz besonderen wird.
Lisa Wulff war zuletzt im März 2022 mit einer eigenen Formation zu Gast im Birdland. Seither ist einiges passiert. Mit Adrian Hanack (Tenorsaxofon, Klarinette, Flöte), Valentin Renner am Schlagzeug und Frank Chastenier am Klavier hat sie eine neue Band um sich geschart, mit „Poison Ivy“ ein neues Album aufgenommen und mit „MCQ – Multiple Choice Question“, „Cracking Walls“, „On The Rebound“ sowie mit „Hand aufs Herz“ als Uraufführung ihren bereits bestehenden Kompositionszyklen weitere Stücke hinzugefügt, die es im Rahmen einer kleinen Tour vorzustellen gilt.
Wulff füllt ihre Rolle als Bandleaderin, die die Fäden in der Hand hält, kompetent aus, ohne sich in Szene setzen zu müssen. In der Gruppe herrscht Gleichberechtigung. Nicht einmal Chastenier, der zusammen mit ihr eines der letzten Konzerte mit dem legendären Rolf Kühn im Birdland gegeben hat, bekommt eine Sonderrolle. Auch nicht Adrian Hanack, der Hauptsolist, wird über Gebühr gefeatured, auch nicht Wulff selbst, nein, das Hauptaugenmerk liegt auf dem kompakten Bandgefüge, auf den höchst unterschiedlichen, farblich schillernden Kompositionen, die zusammen genommen einen bunten, floristisch passend gestalteten und überaus interessanten Strauß ergeben. Kammermusikalisch intim, dann wieder räumlich ausgreifend. Akribisch auskomponiert und sich innerhalb eines akademisch gesetzten Rahmens bewegend, dann wieder wie befreit expandierend. Schwebend und verträumt, dann wieder kraftvoll zupackend. – Der Va-riantenreichtum ist enorm und wird an diesem Abend zum Markenzeichen der Band an sich. Ständig wechselt das klangliche Outfit. Wulff lenkt durch den Einsatz des elektrisch verstärkten Sopranbasses Stücke wie das überragende „Valiant“ und das knackige „In My Head“ in Richtung Fusion, tendiert bei der Vertonung von „Die stille Stunde“ aus Wolfgang Borcherts „Die Küchenuhr“ ins Lyrische, spielt bei „Nightmares And Daydreams“ und bei „The Darker The Night The Brighter The Stars Glow“ mit den Komponenten der Lautstärke und der Intensität.
Aus genau dieser Vielfalt ergibt sich auch der Grundtenor, das charakteristische Merkmal, das die zwei Sets durchweht, nämlich die Möglichkeit für Wulff, als Bandleaderin alles auszuprobieren, was ihr vorschwebt, die Lust zu experimentieren, ihren Stücken dabei aber stets eine ganz persönliche Note als Komponistin zu verleihen, passende Mitmusiker für deren Umsetzung zu gewinnen und so eine eigene Nische für sich zu finden, in der sich sicherlich auch künftig noch so einiges tun wird.“ – Mit „Then We Listened To The Moon“ entlässt Wulff ihr Publikum schließlich in die Nacht, knipst den Farbenreichtum nach zwei Stunden einfach aus. Jetzt dominieren wieder die Grautöne. Farbenpracht drinnen, Tristesse draußen. Alles hat seine Zeit.

