Fred Hersch Solo | 04.10.2025

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Die Musik entspringt wie ein Wildbach. Sie beginnt einfach irgendwo-irgendwann, reiht Note an Note aneinander, und die daraus entstehende Melodien dann wieder zu bunten Schleifen, die durch den Herbstwind flattern. Jeder Ton ist ausschließlich Fred Herschs Ton, immer linear, akkordisch und vor allem reduziert. Ein Konzert wie das am Samstagabend im Neuburger Birdland-Jazzclub wirkt wie ein Weckruf in einer Zeit, in der das Wichtige, das Bedeutsame, das Schöne immer mehr an Bedeutung verliert. Und es bleibt.

Der scheue, bescheidene Pianist aus Cincinnati (Ohio), der am Ende des Monats seines 70. Geburtstag feiern kann und längst als der Maßstab des Jazzpianos der Gegenwart gilt, spielt tatsächlich in Neuburg, solo! Jahrelang hat sich Birdland-Boss Manfred Rehm um Hersch bemüht, nun hat es endlich geklappt! Fans sind deshalb bis aus Wien angereist, um ihn bei einem seiner seltenen Konzerte auf die Finger schauen zu können, die Elbphilharmonie in Hamburg, wo er in wenigen Tagen gastiert, ist schon seit Monaten ausverkauft. Welche unglaublichen Musiker kommen da eigentlich nach Neuburg? Weiß das überhaupt jemand hier richtig einzuordnen, zu schätzen? Die Frage stellt sich leider immer wieder, und gerade am Beispiel von Fred Hersch lässt sich erkennen, was hier Großartiges geschaffen wurde und noch immer wieder um Anerkennung ringen muss. Denn Hersch ist ein Zauberer, der mit einfachsten Mitteln die Menschen in den Bann schlagen kann, ein Magier zwischen Hell und Dunkel, der vom Lieblichen ins Geisterhafte zu wechseln imstande ist, ohne dass es wie ein Bruch wirkt. Wer ihm lauscht, wird mit einer Kunst konfrontiert, die auf alle Mätzchen des Zeitgeistes zugunsten eines eigenständigen, in sich ruhenden Musizierstils verzichtet. Ein Platz in der Ahnengalerie famoser Jazzpianisten neben Hank Jones, Ahmad Jamal oder Bill Evans ist ihm dabei längst sicher.

Er beginnt mit der wundervollen, emotionalen Tonfolge seiner Komposition „The Surrounding Green“, lässt bei Egberto Gismontis „Palhaço“ ein Hauch von Latin-Musik durch den Keller wehen und verwandelt die Hardbop-Ode „Whisper Not“ von Benny Golson mit wenigen Handstrichen in ein impressionistisches Kleinod. Ein solches Gespür für melodische Linien hört man in dieser Konsequenz kaum, schon gar nicht bei Jazzpianisten. Es sind Ahnungen einer unendlichen Melodie, Motive, die sich aneinanderschmiegen, sich trennen, neue Linien bilden, sich in Kontrapunkte zwischen linker und rechter Hand aufteilen. Ein unerhörter Singsang ohne Worte entsteht auf diese Weise, der wie das formale Abbild eines größeren Urbilds von Musik im Hintergrund erscheint. Kein Ton ist zu viel, nirgends. Alle Klangnuancen scheinen einem ebenso unaufdringlichen wie ehernen Gesetz des Ebenmaßes zu folgen. Fred Hersch ist kein vielarmiger Krake, der seine Tinte wahllos über die ganze Tastatur verteilt.

Dies wird vor allem beim Gassenhauer „All Of Me“ überdeutlich: Das Stück mäandert im swingenden Halbschlaf durch den Raum und weckt den Anschein eines surrealistischen Ragtimes. Oder Duke Ellingtons Erkennungsmelodien „Mood Indigo“ und „Caravan“. Maximal entschleunigt, sensitiv getupft, entreißt sie Fred den Klauen des Populismus und gibt ihnen ihr strahlendes Gesicht zurück. Der Abend endet, wie er begonnen hat: mit spärlich plätschernden Melodien, Miniaturen, von emotionaler Kraft und Tiefe: „Virginia Rose“ für seine 96-jährige Mutter, Monks „I Mean You“ und das anrührend schlichte „And So It Goes“. Danach Bravo-Rufe, Ovationen und zwei Zugaben. Ein Konzert für die Ewigkeit.