Julia Hülsmann Quartett | 27.09.2025

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Kein Auftakt mit Donnerschlag, kein auftrumpfendes Virtuosenbekenntnis, sondern ein tastendes, gleichwohl von Beginn an bewegliches Erkunden der Stille. Es sind diese Abende, die den Ruf des Neuburger Birdland immer wieder bestätigen. Jenseits aller Schlagzeilen lebt hier die unmittelbare Begegnung mit dem Jazz, unverstellt, nah und intensiv. In jedem Moment ist zu spüren, dass Musik hier nicht einfach erklingt, sondern sich ereignet – im Augenblick, in der Interaktion zwischen den Musizierenden, zwischen Bühne und Publikum.

Die im Birdland wohlbekannte Pianistin Julia Hülsmann, eine echte Instanz der deutschen Jazzszene, ließ gemeinsam mit Marc Muellbauer am Bass, Heinrich Köbberling am Schlagzeug und Uli Kempendorff am Tenorsaxofon zwischen kontrollierter Zurückhaltung und subtiler Intensität sanft oszillierende Klangräume entstehen. Es ist große Kunst, die Spannung nicht aus äußerer Lautstärke oder überstürztem Temperament zu gewinnen, sondern aus der Reduktion, aus der Zwiesprache, aus dem klugen Platzieren der Töne, dabei im weiten Reich zwischen Romantik und modernem Jazz auch den Groove nicht zu kurz kommen zu lassen.

Hülsmanns perlend leichter Anschlag gibt jedem Ton sein Gewicht und seine Bedeutung, ohne sich freilich bedeutungsschwanger zu gerieren und doch mit einer Bestimmtheit geformt, die den Horizont jedes Stückes klar absteckt. Muellbauers Bass trägt das Geschehen mit profundem Ton und einem Sinn für Linien, der sich eher in langen Bögen als in solistischen Zuspitzungen entfaltet. Seine Bassfiguren wirken wie Erdanker, ohne die Leichtigkeit zu beschneiden. Köbberling wiederum versteht das Schlagzeug nicht als Schlaginstrument, sondern als atmende Hülle: sparsame Akzente, kaum vernehmbare Wirbel, manchmal das feine Streichen über Beckenränder – stets mehr Geste als Pose in filigranem Drumming. Auf diesem transparenten Geflecht entfaltet Kempendorff bei seinem Neuburger Debut sein Spiel, das zugleich kühn und zurückhaltend bleibt. Sanfte Attacke mit sonorem Ton und wirkmächtiger, traditionsbewusster Gestaltungskraft.

Dass in diesem Quartett niemand sich nach vorn drängt, ist mehr als bloße Bescheidenheit. Es ist Ausdruck einer Haltung, die dem Kollektiv Vorrang gibt. Jeder Ton steht im Dienst des Ganzen. So wirkt der Abend nicht wie eine Abfolge von Stücken, sondern wie eine durchgehende musikalische Erzählung, deren Kapitel sich organisch aneinanderfügen. Man findet sich unversehens mitten im Strom, getragen von einer Sogkraft, die nicht mitreißt, sondern einlädt, sich treiben zu lassen. Feine Balance schon im Opener „They Stumble They Walk“, lautmalerisches Frühlingserwachen im „May Song“, lebhafte Rhythmik in „Milkwead Monarch“, auch ein Popsong darf nicht fehlen, Adeles „Rolling in The Deep“, aber natürlich anders, deutlich beweglicher, feiner, mit Sinn für Zwischentöne, wo sie zunächst gar nicht zu vermuten sind. Überhaupt: „Under The Surface“, Titel der aktuellen CD, darunter und dahinter passiert so einiges, was man gar nicht so ahnt. Erdung ist auch immer wieder angesagt, eher weich und sensibel in „The Earth Below“, auch angesichts aktueller kulturpolitischer Entwicklungen, wobei letztere mit „Anti Fragile“ auch mal ein Wut-Stück hervorbringen. „Handfest sein und sich wehren“, rät Julia Hülsmann da unmissverständlich zur Zivilcourage der Demokraten.